Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Neue 
Zusammen- 
kunft mit dem 
ZareninReval 
580 DIE MONARCHEN BEZAHLEN DIE ZECHE 
bund in völlig unveränderter Form im Gartenzimmer des Reichskanzler- 
palais von mir mit den Botschaftern Szögyenyi und Lanza unterzeichnet. 
Ich hatte nach der Entrevue von Hela dem Kaiser verschiedentlich aus- 
einandergesetzt, wiesehrersich durch seine unfreundliche Behandlung des 
russischen Ministers des Äußern die von ihm sehr und beinahe zu osten- 
tativ gewünschten freundnachbarlichen Beziehungen zum Zaren erschwere. 
Solche geistige Massage, wie ich diese Einwirkung auf Wilhelm II. zunennen 
pflegte, war damals noch erfolgreich. Bei der neuen Begegnung, die Anfang 
August in Reval in meinem Beisein zwischen dem Kaiser und dem Zaren 
vor sich ging, begrüßte Wilhelm II. den russischen Minister des Äußern 
mit ruhiger Freundlichkeit, als ob zwischen ihnen nie etwas vorgefallen 
wäre. Er schüttelte ihm die Hand und überreichte ihm persönlich den 
hohen Orden vom Schwarzen Adler. Er enthielt sich auch aller Scherze, 
als das Kanonengebrüll während der Flottenmanöver die Nerven des 
Grafen Lambsdorff einigermaßen anzugreifen schien. Der alte Kabinettsrat 
Lucanus pflegte zu sagen, daß Wilhelm II. leider oft entgleise, sich aber 
meist wieder einrenke, wenn er den richtigen Berater an seiner Seite habe. 
Darauf käme alles bei ihm an. 
Aus der langen Unterredung, die ich mit dem Zaren hatte, ist mir der 
Moment in Erinnerung geblieben, wo ich ihn an das Wort von Bismarck 
erinnerte, das ich ihm gegenüber schon einmal erwähnt hatte, nämlich, 
daß den schließlichen militärischen Ausgang eines Krieges zwischen den 
drei Kaiserreichen niemand voraussagen könne, daß aber höchstwahr- 
scheinlich die drei Monarchen die Zeche würden bezahlen müssen. Kaiser 
Nikolaus ergriff meine Hand, sah mich mit seinen melancholischen Augen 
lange an und sagte dann: „J’en suis aussi convaincu que vous!“ Mit Be- 
fremden bemerkte ich während unseres Aufenthalts in Reval, daß der rus- 
sische Marincattach£& in Berlin, Paulis, dessen Intimität mit Senden mir 
schon früher unangenehm aufgefallen war, jeden Augenblick auf der 
„Hohenzollern“ erschien, wo er mit dem Chef des Marinekabinetts eifrig 
und eingehend konferierte. Ich stellte Senden zur Rede, der mir mit der 
obstinaten Einfältigkeit, die ihm eigen war, erklärte, der Kapitänleutnant 
zur Sce von Paulis sei ein Bewunderer des Kaisers, ein Freund Deutsch- 
lands und ein Feind Englands. „Was wollen Sie mehr? Dem kann man 
trauen!“ Ich brachte die Sache dem Kaiser gegenüber zur Sprache, dem es 
bei seiner Gutmütigkeit und weil er in seiner Umgebung ungern pikierte 
Gesichter sah, immer unerwünscht war, einem Adjutanten etwas Unan- 
genehmes sagen zu müssen. Die latente Feindschaft des Königs Eduard für 
seinen kaiserlichen Neffen und das ohnehin vorhandene Mißtrauen weiter 
englischer Kreise gegen die deutsche Politik sog immer wieder neue Nah- 
rung aus unvorsichtigen Äußerungen, die der Kaiser und einzelne Herren
	        
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