Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

WIRKUNG EINER DEPESCHE 583 
von 100000 Mark. Der Geber war der reiche Graf Ernst Moy, der sich unter 
den Jagdgästen des Regenten befand, als das kaiserliche Telegramm wie 
ein Blitz aus heiterm Himmel in die idyllische Stille des Hofjagdlagers 
Linderhof einschlug. Als ich frug, weshalb das kaiserliche Telegramm durch 
Wolffs Telegraphenbüro ohne Rückfrage bei mir verbreitet worden wäre, 
wurde mir gesagt, daß dies auf einem ausdrücklichen Befehl des Kaisers 
an Tschirschky beruhe, den Tschirschky widerspruchslos ausgeführt habe. 
Eine vorherige Rückfrage bei mir, der ich zwischen Swinemünde und Berlin 
jederzeit erreichbar gewesen war, oder auch einen Aufschub der Absendung 
der Depesche und vollends ihrer Publikation bis zu meiner Ankunft in 
Berlin hatte Tschirschky entweder nicht für nötig gehalten oder nicht 
anzuregen gewagt. 
Der Eindruck, den dieser Zwischenfall machte, war nicht nur in Bayern, 
sondern im ganzen Reich betrübend. Es war nicht allein die Zentrums- 
presse, die großes Geschrei erhob. Auch liberale Blätter erklärten solche 
kaiserliche Einmischung in die inneren Verhältnisse eines Bundesstaats und 
noch dazu des zweitgrößten Bundesstaats für gefährlich und beklagens- 
wert. Unerfreuliche und für den Reichsgedanken nachteilige Debatten im 
Reichstag waren vorauszuschen. Die Stellung des ausgezeichneten, durch 
und durch reichstreuen Ministerpräsidenten Crailsheim war schwer ge- 
fährdet. Ich nahm mir zunächst Tschirschky vor und frug ihn, wie er, 
der verantwortliche Vertreter des Auswärtigen Amts beim Kaiser, dieses 
Telegramm habe durchgehen lassen können, statt auf einer vorherigen 
Anfrage bei mir zu bestehen, die leicht zu bewerkstelligen gewesen wäre. 
Mit einer Mischung von Verlegenheit und Verstocktheit erwiderte mir der 
Gesandte: er habe nicht Lust gehabt, sich mit dem Kaiser zu brouillieren. 
„Wenn man ces mit dem Kaiser einmal verschüttet hat, so hilft einem kein 
Reichskanzler.‘‘ Er bezog sich auch auf einen Ausspruch des holländischen 
Seehelden Cornelius Tromp, den der Kaiser mit Vorliebe zitierte und der 
ungefähr besagte, daß Tromp seine Ehre darin suchte, jeden Befehl aus- 
zuführen, obne weiter über ihn nachzudenken. Es entspann sich eine von 
meiner Seite höflich, aber mit Schärfe geführte Diskussion, an der mich 
am meisten betrübte, daß Tschirschky, in die Enge getrieben, schließlich 
zu seiner Entschuldigung meinte, er wäre von mir selten eingeladen 
worden, ich hätte nur gelegentlich eingehendere Unterredungen mit ihm 
gepflogen, überhaupt nicht allzuviel für ihn getan, er habe eigentlich keinen 
rechten Grund gehabt, sich besonders für mich ins Zeug zu legen. Es war 
ein trauriges Zeichen der Zeit, es war für mich ein beunruhigendes Symp- 
tom, daß Tschirschky, der Sohn eines tüchtigen sächsischen Beamten, den 
Dienst so salopp, von diesem egoistisch-opportunistischen Standpunkt aus 
auffaßte.
	        
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