DIE MIKROZEPHALEN 37
unter Mumm stehend. Alexander Hohenlohe lernte ich leider nicht
kennen. Der Kanzler ist merkwürdig frisch. Ich sprach der Fürstin
meine Besorgnis aus, daß direkte Anspannungen, wie die Staatsrats-
sitzungen, ihrem Gemahl doch schließlich schädlich sein müßten. Dazu
die geselligen Lasten. Vortrefflich sind nach wie vor die Beziehungen mit
S.M., Verkehr mit kleinen Billets-doux. Marschall bleibt also bis auf
Weiteres, wenngleich er sich selbst sehr resigniert geriert. Daß Holstein
Marschalls sofortigen Abgang zur Kabinettsfrage machen wollte, wissen
Sie wohl. Andererseits aber will Holstein einem Wechsel im Laufe der Zeit,
falls S.M. ihn dann wünschen sollte, nicht entgegen sein. Ich hofle aber,
die Wogen beruhigen sich. Doch wühlt der Apotheker Lucanus sowie das
bismarckisch gesinnte Militärgesinde Imperatoris schr gegen den armen
‚Staatsanwalt‘. Sehr bedenklich ist das Toben der Agrarier. Hohenlohe
sagte mir, er stände deren Anträgen unbedingt ablehnend gegenüber. Mar-
schall hat eine bimetallistische Ader, leider. Wenn die Agrarier bessere
Taktiker wären, würden sie wohl den Kaiser herumkriegen. So ist Mar-
schall aber der Fels in der Brandung. Am Unterspülen desselben arbeiten
leider Adel, Hof und der einflußreichste Teil unserer Bürokratie. Selbst so
kluge Leute wie Leo Buch sind ganz verrannt in den Antrag Kanitz. Der
Ton der Konservativen im Reichstag ist ein mehr und mehr gereizter. Im
Kasino predigt alle Abend Mirbach-Sorquitten einem Kreis von Mikro-
zephalen. Die Sozialdemokratie soll, wie ich von gut unterrichteten Leuten
höre, jetzt auch unter den kleinen Beamten, Postboten, Schutzleuten,
Amtsdienern immer weitere Anhänger gewinnen. Man hofft, daß sie sich
allmählich zu einer radikalen Linken umgestalten wird. Eigentümlicher-
weise sind schon heute die sozialistischen Abgeordneten in vielen Fragen
geradezu eine Stütze der Regierung. Von mancher Seite wurde der Fleiß
und das Studium dieser Volksvertreter zu wenig vorteilhaften Vergleichen
mit den konservativen Deputierten benutzt. Was sagen Sie zu Bill Bis-
marcks Ernennung zum Öberpräsidenten in Königsberg? Ich sprach ihn,
er schien sehr erfreut. Publicus ist sehr gut davon impressioniert. Wie ich
als sicher hörte, hat aber außer August Dönhoff auch der Exminister Botho
Eulenburg die Stellung refüsiert. Köller machte mir keinen sehr angenehmen
Eindruck, sehr zurückgegangen schien Bötticher zu sein. Im Amt ist man
mit Schenk unzufrieden und will ihn durch Heyking, der für Kairo zu
schneidig ist, ersetzen. Nach Buenos Aires aber soll ein Homo novus
namens Müller-Raschdau kommen. Komme ich hier einmal los, belästige
ich Ihre liebenswürdige Gebieterin mit der Bitte, mir etwas Seidenstoff zu
besorgen; ihr Geschmack ist ebenso bekannt wie ihre Güte, sodaß ich wohl
die Bitte seinerzeit wagen möchte. Von Ihren Brüdern sah ich in Berlin
nur den Ulanen Karl Ulrich, mit dem ich eines Abends Skat spielte. Er