Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Die 
Swinemünder 
Depesche vor 
dem Reichstag 
596 DAS ZENTRUM 
Mein lieber Freund der Dichter Adolf Wilbrandt schrieb meiner Frau 
aus Rostock: „Möge Ihrem Gatten so weiter alles glücken, was sein deut- 
sches Herz ihm eingibt.“ Der Statthalter von Elsaß-Lothringen, Fürst 
Hermann Hohenlohe-Langenburg, früher mir gegenüber nicht ganz frei 
von Eifersucht, drückte mir die Überzeugung aus, daß das Vaterland mir 
das Wiedererblühen seiner wirtschaftlichen Wohlfahrt zu danken haben 
werde. Der bayrische Ministerpräsident Crailsheim schrieb mir, daß die 
unter einsichtsvoller und tatkräftiger Leitung zu einem befriedigenden 
Abschluß gebrachte große wirtschaftliche Vorlage der Nation zum Wohle 
und dem Vaterland zum Segen gereichen würde. Er hat sich nicht getäuscht. 
Gern gedenke ich bei der Rückschau auf diese stürmischen Tage der aus- 
gezeichneten Unterstützung, die ich bei der Ausarbeitung des Tarifes und 
seiner parlamentarischen Behandlung bei meinen Mitarbeitern, an erster 
Stelle bei Graf Posadowsky, Freiherrn von Richthofen und Exzellenz 
Körner gefunden habe. 
Leider war mein Pensum mit dem Zustandekommen eines verständigen 
Zolltarifs, der die Landwirtschaft schützen und gleichzeitig den Abschluß 
von Handelsverträgen ermöglichen sollte, noch nicht erschöpft. Es stand 
mir noch die schwierigere und unerquickliche Aufgabe bevor, die letzten, 
gut gemeinten, aber intempestiven Auslassungen des Kaisers und ins- 
besondere die Swinemünder Entgleisung vor dem Reichstag und vor dem 
Lande zu vertreten. Die Swinemünder Depesche brachte bei der ersten 
Lesung des Etats am 19. Januar 1903 der Abgeordnete Schädler zur 
Sprache. 
Im Zentrum saßen Männer, die sich ebensosehr durch politische Ein- 
sicht wie durch vornehme Gesinnung und Charakter auszeichneten. Ich 
nenne außer dem Grafen Franz Ballestrem meinen alten und lieben Freund, 
den Prinzen Franz Arenberg, Spahn, Herold, Gröber, Graf Praschma, 
Huene, Graf Galen, Hertling, Porsch, Müller-Fulda, Buol, Graf Preysing. 
Den demokratischen Flügel des Zentrums führte in jener Zeit Ernst Lieber. 
Er war bei den Aristokraten des Zentrums, die damals zum Wohl der Partei 
wie der katholischen Sache mit den Bischöfen die letzte Entscheidung 
gaben, nicht gut angeschrieben. Aber bei manchen kleinen Schwächen war 
er doch ein Mann von edlem Herzen und von schönen Gaben. Wie in jeder 
Herde gab es natürlich auch im Zentrum schwarze Schafe. Der Kaplan 
Dasbach war selbst in seiner eigenen Partei wenig beliebt. Arenberg erzählte 
mir gelegentlich, daß, als Dasbach einmal auf der Zentrumskneipe mit 
einem oberbayrischen Kollegen einen Streit vom Zaune brach, dieser ihm 
mit bajuvarischer Offenheit sagte: „Am liebsten tat’ i eana oans runter- 
hau’n, aba mir tat’ mei Hand load.“ Gebildeter, aber ebenso unsympatkhisch 
war der Domdekan Schädler aus Bamberg. Sein lebhafter Wunsch war,
	        
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