Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

604 DER PIERSON-SKANDAL 
Miserabilität der Welt gesagt haben. Wobei ich nicht unterlassen möchte, 
hinzuzufügen, daß es, wie ich überzeugt bin, in anderen Ländern, in anderen 
Schichten, unter anderen Verfassungsformen im Grund auch nicht anders 
und besser hergehen wird. Die Ursache solcher Erscheinungen liegt so 
wenig in der Regierungsform wie im Klima oder in der Rasse, sie liegt in 
der Schlechtigkeit der menschlichen Natur. 
Um Hochberg zu stürzen, hatte Eulenburg dessen Faktotum bei der 
Leitung der Königlichen Theater, den Hofrat Pierson, an verschiedenen 
maßgebenden Stellen, insbesondere aber bei Seiner Majestät angeschwärzt. 
Pierson hatte das gehört und drohte Eulenburg mit einer Verleumdungs- 
klage, da er ihm auch Unterschleife bei der Kassenführung nachgesagt 
hatte. Sehr erschrocken über diese von ihm nicht vorhergesehene Wirkung 
seiner Verdächtigungen, beschwor Eulenburg den Chef des Zivilkabinetts, 
Exzellenz Lucanus, in einem langen, erregten Schreiben, das er mir in Ab- 
schrift unterbreitete, Pierson zur Rücknahme seiner Klage zu veranlassen, 
da ein so fataler Prozeß nicht nur ihn, sondern indirekt auch den Kaiser 
bloßstellen würde. Eulenburg ließ hierbei einfließen, daß er sich seit längerer 
Zeit aus Gesundheitsrücksichten mit Abschiedsgedanken trage, aber 
dringend bitte, ihn nicht über einen Skandalprozeß fallen zu lassen. Er sei 
bereit, Pierson jede Genugtuung zu geben. Mir hatte Eulenburg gleich- 
zeitig geschrieben: „Es ist mir geradezu entsetzlich, Dir immer nur Un- 
gelegenheiten zu machen! Schon aus diesem Grunde ist es besser, daß ich 
gebe. Die dumme Angelegenheit Hochberg-Pierson nimmt für mich, aber 
auch für Seine Majestät Formen an, welche mir bedenklich erscheinen. 
Die Klage des Pierson, der; wie ich Dir ganz im Vertrauen sagen kann, ein 
höchst gefährlicher Mensch ist, muß vermieden resp. zurückgezogen 
werden. Ich halte das nicht für schwierig, weil Pierson Beamter ist und man 
ihn also in der Hand hat. Habe die Güte, gleich mit Lucanus zu 
sprechen. Du kannst Dir ja ungefähr die Wirkung eines Prozesses denken, 
in dem ich der Verleumdung angeklagt werde. Ich bin derart mürbe, daß 
Duernstlich an meinen Rücktritt denken mußt. Ich will aus tatsächlichen 
Krankheitsrücksichten scheiden, aber in Frieden und würde mich auf 
Jahre zuerst in meinem Haus am Starnberger See resp. in München 
etablieren — ganz weit von allem Getriebe, das ich nicht mehr ertragen 
kann. Ich bitte Dich nur flehentlich: beseitige diese scheußliche Sache, die 
mir so entsetzliche Aufregungen verursacht, weil ich die Enttäuschung an 
alten, treu geglaubten Freunden nicht ertragen kann: Vergib Deinem Dich 
innigst liebenden dankbaren Philipp Eulenburg.“ Einige Tage später schrieb 
mir Eulenburg: „Es quält mich namenlos, daß ich es wiederum bin, der 
Dir Ungelegenheiten und Sorge macht! Das soll auch ein Ende haben. 
Es ist das Geringste, was ich Dir aus tiefer Dankbarkeit darbringen kann:
	        
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