Unterredung
Bülows
mit Viktor
Emanuel
608 DER SPRÖDE VIKTOR EMANUEL
der Verkehr zwischen König und Kaiser diesmal in angenehmen Formen.
Auch der Königin Elena gegenüber hatte sich der Kaiser noch nicht ganz
in die unverständige Antipathie verrannt, zu der er später durch die taktlose
Berichterstattung des Grafen Monts verleitet wurde.
Erst nach meinem Rücktritt ließ sich der Kaiser gegenüber dem italieni-
schen Königspaar mehr und mehr gehen. Die Schuld trug im letzten Ende
Herr von Bethmann. Dieser hatte sich zu seinem und unserem Unheil
nach seiner Ernennung zum Reichskanzler den damaligen Geheimrat von
Flotow ausgesucht, um sich von ihm in die Arcana Imperii einführen zu
lassen. Flotow machte dem neuen Kanzler vor allem klar, daß ich an meiner
Tendenz gescheitert wäre, den Hauslehrer des Kaisers zu spielen, der da-
durch schon lange vor den Novemberereignissen von 1908 meiner über-
drüssig geworden wäre. Da Bethmann von dem brennenden Wunsch er-
füllt war, zu bleiben — kein Minister hat geklebt wie er —, gab er von
vornherein dem Kaiser in allem und jedem nach. Eine der vielen Folgen
dieser Nachgiebigkeit war das später immer gespannter werdende Verhält-
nis zwischen dem Deutschen Kaiser und dem italienischen Könige.
1903 war das Verhältnis noch leidlich. Mir sagte König Viktor Emanuel
in der längeren Unterredung, mit der er mich nach unserem Eintreffen im
Quirinal beehrte, er interessiere sich in erster Linie für Albanien, wo er
keiner anderen Macht, namentlich nicht Österreich-Ungarn, erlauben könne,
sich festzusetzen. Italien könne eine Gebietserweiterung Österreichs auf
der Balkanhalbinsel, namentlich an der adriatischen Küste, nicht zu-
lassen. Dabei handle es sich um Sein oder Nichtsein der italienischen Dy-
nastie. Ich erklärte dem König mit Bestimmtheit, daß Österreich weder in
Albanien noch in Mazedonien Gebietserweiterungen anstrebe. Auf Bosnien
und die Herzegowina besitze es vieljährige, durch den Berliner Vertrag und
eine Reihe von Sonderabmachungen mit Rußland garantierte Rechte. An
Albanien und Mazedonien werde es nicht rühren, und etwaige kriegerische
Velleitäten hitziger Magyaren oder unruhiger Generalstäbler gegenüber
Serbien und Rumänien würden wir nicht zulassen. „L’Allemagne veut la
paix.“ Übrigens waren die Magyaren gegen eine Vergrößerung der habs-
burgischen Monarchie, weil eine solche ihre Hegemonie gefährden würde.
Bei dem Ministerpräsidenten Zanardelli und dem Minister des Äußern
Admiral Morin fand ich volles Verständnis für meine Gedankengänge. Der
König verhielt sich spröder. Er war offenbar Österreich gegenüber sehr miß-
trauisch. Er sagte mir mit der Offenheit, der ich immer bei ihm begegnet
bin, es sei unerhört, daß der Wiener Besuch des Königs Humbert noch
immer nicht in Rom erwidert worden wäre. Das sei eine „Ohrfeige“, nicht
nur für seinen toten Vater, sondern auch für ihn selbst, für sein Haus und
sein Land.