Besuch bei
Loo XIII.
610 FAURT IN DEN VATIKAN
entgegen, daß nicht nur die italienische Monarchie, sondern auch der italieni-
sche Einheitsstaat gefährdet sein würde, wenn Italien allein auf Frankreich
angewiesen wäre. Über Barrere sagte der König damals zum Kaiser:
„I do’nt like him, he is a liar and a nasty man.“ Es mußten große Fehler
in Wien und auch in Berlin gemacht werden, um den König in die Arme
von Barröre zu treiben.
Am 3. Mai wurde die Fahrt nach dem Vatikan angetreten. Der Kaiser
hatte dazu Galawagen und prächtige Trakehner Rosse nach Rom kommen
lassen, auch zwei Züge vom Regiment Gardeducorps, die vor und hinter
seinem Galawagen ritten. Es war ein eigenartiges Schauspiel, Kaiser und
Papst in einem der Prachtsäle des Vatikans sich gegenüber zu sehen. Der
Kaiser, eben 44, in voller Kraft, auch äußerlich jugendlicher als seine Jahre,
voll Wärme, begeisterungsfähig, in hohem "Grade impressionabel, phan-
tastisch. So mag Kaiser Otto III. dem Papst Sylvester II. gegenüberge-
standen haben. Leo XIII., 93 Jahre alt, aber aufrecht und nicht gebeugt,
das scharf geschnittene, ganz italienische Antlitz von marmorner Blässe,
die durch sein weißes Gewand noch gesteigert wurde. Alles an ihm Geist.
Sehr liebenswürdig, aber im Sinne der italienischen Gentilezza, ohne allzu
starke Betonung noch Aufdringlichkeit. Seiner selbst völlig sicher. Vor
allem in dem Sinne, daß kein von außen kommender Eindruck sein inneres
Gleichgewicht zu stören oder auch nur zu gefährden vermochte. Er hatte
kurz vorher einer Dame, die ihm am Schlusse ihrer Audienz gesagt hatte,
sie bete zu Gott, daß er hundert Jahr alt werden möge, lächelnd erwidert:
„Pourquoi mettre des limites a la bont& divine ?“ Dabei so hart gegen seinen
Körper, daß er bei einer schmerzlichen Operation in so hohem Alter sich
nicht chloroformieren lassen wollte. Ein wunderbar schönes Auge, aus dem
die unerschütterliche Zuversicht des von seiner Mission überzeugten Statt-
halters Christi leuchtete, aber doch auch etwas von der feinen Skepsis,
die so vielen italienischen Staatsmännern auf dem päpstlichen Stuhl, in
den Ratsstuben von Venedig und Genua, auf den Fürstensitzen von Florenz
und Ferrara eigen gewesen ist. Diese leichte Skepsis fehlte auch den
Männern nicht, die den italienischen Einheits- und Nationalstaat unter un-
geheuren Schwierigkeiten errichtet baben, weder Massimo d’Azeglio noch
Ricasoli, weder Minghetti noch Visconti-Venosta, weder Ratazzi noch
Depretis. Sie fehlte selbst dem größten von ihnen, sie fehlte auch Cavour
nicht. Sie schloß glühenden Patriotismus und festen Glauben an die Stella
d’Italia nicht aus, aber sie beugte manchen Dummbheiten vor, die anderswo
begangen wurden.
Unmittelbar nach dem Besuch beim Papst fand bei dem preußischen
Gesandten beim Vatikan, Baron Rotenhan, für den Kaiser ein Dejeuner
dinatoire statt, an dem mehrere Kardinäle und der Hausherr, Fürst