KAISER UND PAPST 611
Baldassare Odescalchi, teilnahmen. Nach Tisch unterhielt sich Odescalchi,
der, nebenbei gesagt, ein alter Garibaldianer war und seinerzeit neben dem
Volkshelden im roten Hemd durch die Straßen von Rom gefahren war,
eifrig mit dem anwesenden Kardinal Gotti, der für einen Papabile galt.
Als ich herantrat, frug der Fürst gerade scherzend den Kardinal: „Wie soll
es nun gehalten werden, wenn früher oder später Staat und Kirche sich
versöhnen? Sollen alle Kardinäle Senatoren werden oder alle Senatoren
Kardinäle?“ Freundlich, aber ernst erwiderte ihm Gotti: „Der Scherz ist
graziös, und unter uns Italienern können wir alles sagen. Wir verstehen
uns schließlich immer untereinander.“ Mit einem Blick auf mich fügte der
würdige Kirchenfürst leise hinzu: „Vor Fremden müssen wir vorsichtig
sein.“
Die Gäste hatten sich kaum entfernt, als der Kaiser Rotenhan seine
ganze Unterredung mit Leo XIII. diktierte. Ich lasse sie folgen, weil sie
nicht nur ein interessanter Beitrag zur Charakteristik des Kaisers, sondern
auch ein wertvolles zeitgeschichtliches Dokument ist: „Der Papst freute
sich, Mich zum drittenmal begrüßen zu können; Gott habe ihm ein so
langes Leben gegeben, daß er in der Lage gewesen sei, dies außerordentliche
Jubiläum zu feiern. Davon hätte Ich durch eine besondere Mission Notiz
genommen und ihm den besonders lieben und angenehmen General Lo&
geschickt, wofür er ganz besonders dankbar sei. Ich: Ich hoffe, daß die Vor-
sehung ihm noch die Möglichkeit gewähren würde, sein hundertjähriges
Jubiläum zu feiern. Der Papst: Das läge in Gottes Hand. Er freue sich,
Mich darauf aufmerksam machen zu können, daß sein Zimmer mit Meinen
Geschenken geschmückt sei. (Hinweis auf Porzellanpendüle.) Er sei stets
von ihnen umgeben. Ich: Sie wären ein Zeichen Meiner Verehrung und
Meines Respektes für seine ehrwürdige Person, die noch lange zum Wohle
der Christenheit derselben erhalten bleiben möge. Er: Er freue sich, die
Gelegenheit zu haben, Mir insbesondere dafür seinen Dank zu sagen, daß
Ich unabläßlich für das Wohl Meiner katholischen Untertanen bemüht sei.
Er habe dies von so vielen Seiten gehört, daß er Wert darauf lege, es Mir
persönlich zu sagen, wie dankbar er und auch diese Untertanen für die
Fürsorge seien. Er könne Mich versichern, daß in guten und in bösen Tagen
Meine katholischen Untertanen in absoluter Treue zu Mir stehen würden.
‚Ils resteront absolument et infailliblement fideles.* Ich: Ich betrachte es
als Pflicht eines christlichen Souveräns, ohne Unterschied der Konfession
für Meine Untertanen nach Kräften zu sorgen, und könnte versichern, daß
Ich stets dafür sorgen würde, daß unter Meiner Regierung dieselben un-
gestört der Ausübung ihrer Religion und ihrer Pflichten gegen ihr kirchliches
Oberhaupt obliegen könnten. Es sei dies eine Lebensmaxime von Mir, und
Ich werde nie von ihr abweichen. Er: Die Grundsätze, nach denen Ich
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Protokoll
des Kaisers
über die
Zusammen-
kunft