Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Eulenburg 
über die 
Nordland- 
reise 1903 
616 DIE NERVEN DES KAISERS 
ihre prächtige Uniform zu dem Ausruf veranlaßten: „Questi sono davvero 
Germani!“ Zum Schlusse hielt der Heilige Vater in französischer Sprache 
folgende Ansprache: „Ihr dient dem Deutschen Kaiser, der mir durch 
seinen Besuch eine große Freude bereitet hat. Stolz könnt ihr darauf sein, 
einem solchen Kaiser zu dienen, und ich ermahne cuch, ihm immer treu zu 
sein. In dieser Voraussetzung gebe ich euch meinen Segen, euch und eurer 
Familie.“ Als der kaiserliche Zug am 5. Mai Rom verließ, war gerade ein 
langer Zug mit deutschen Pilgern eingetroffen. Sie begrüßten den Kaiser 
mit unbeschreiblicher Begeisterung unter dem Gesang der Nationalhymne 
und der „Wacht am Rhein“. Es war ein erhebender Augenblick. 
Philipp Eulenburg, der auch nach seinem Rücktritt nach wie vor die 
Nordlandfahrten des Kaisers mitmachte, berichtete mir in gewohnter Weise 
von dort und aus Rominten über Stimmungen und Taten Seiner Majestät. 
Anfang August 1903 schrieb er mir aus Odda am Hardangerfjord, von wo 
genau elf Jahre später Wilhelm II. zum Weltkrieg zurückkehren sollte: 
„Du wirst S. M. in keiner Weise verändert finden, in lebhafter, freudiger 
Stimmung, Dich wiederzusehen und Dir seine politischen Sorgen anver- 
trauend. Wohl um einige Nuancen abgeschwächter, als sie hier zutage 
treten. Erhateine Mischung von Respekt und Angst vor Dir. Weil 
er das bisweilen klarere, bisweilen unklarere Bewußtsein hat, ohne Dich 
nicht weiterzukommen!... Ich halte keineswegs eine gesundheitliche Krise 
für nahe bevorstehend. Sie könnte nur bald eintreten, wenn schwierige 
oder sehr ernste politische Ereignisse auf die überspannten Nerven des 
Kaisers einstürmen würden. Auch würde die Krisis keineswegs — was so 
viele befürchten oder erhoffen — in der Form einer geistigen Störung er- 
folgen, sie würde in der Form eines Zusammenbruchs der Nerven eintreten. 
Die Natur des Kaisers wird bei einem totalen Zusammenbruch in furcht- 
bare Konvulsionen verfallen, deren Wirkung auf die Regierungsgeschäfte 
und im Verkehr mit den höchsten Beamten des Reichs jetzt nicht zu über- 
blicken ist. Die Krisis wird den Charakter von Anormalität tragen, ohne es 
zu sein, und durch die Unklarheit die verantwortlichen Organe in furcht- 
bare Schwierigkeiten verwickeln. Wenn S. M. nicht aus eigenem Entschluß 
oder durch den Zwang der Ärzte zu zeitweiliger ernster wirklicher körper- 
licher und geistiger Ruhe gezwungen wird, so könnte er vielleicht schon 
einem geringen Anprall unterliegen. Leuthold ist nicht der Mann, der diesen 
Kampf für Ruhe durchfechten wird, er ist weich und ängstlich und $. M. 
zu sehr an ihn gewöhnt.“ 
Eulenburg erzählte mir dann weiter, daß es auf der „Hohenzollern“ 
äußerlich zuginge wie „in dem frivolsten Leutnantskasino“. Diejenigen, 
die gezwungen wären, dienstliche Dinge zu berühren, Moltke, Scholl, 
Usedom, Tschirschky, Lyncker, wären „völlig fertig‘. Vor einigen Tagen
	        
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