MANÖVER UND ERNSTFALL 623
Bemerken muß ich noch, daß ich dem Kardinal Ramppolla seit sieben Jahren
wiederholt und noch in diesem Winter bei Verhandlungen der Samassea-
schen Angelegenheit vorausgesagt habe, was ihm von Österreich drohe.
Noch am Tage meiner Ankunft, am 23. Juli, habe ich ihm sein Schicksal
deutlich auseinandergesetzt; er meinte, er suche nichts als vollständige
Ruhe. Allein er hoffte anscheinend seine Wahl und hielt sie für so sicher,
daß er meinen Worten keinen Glauben schenkte. An der Agitation gegen
ihn habe ich nicht teilgenommen. G. Kard. Kopp.“
Über die Herbstmanöver von 1903 gelangten namentlich aus höheren
militärischen Kreisen viele Klagen und ernste Kritik an mich. Der Kaiser
hatte sich seit den ersten Jahren seiner Regierung das Amt des obersten
Schiedsrichters bei den großen Manövern vorbehalten. Es ist nur gerecht,
anzuerkennen, daß ihm diese Aufgabe besonders lag. König Albert von
Sachsen äußerte mir gegenüber, er kenne wenig Generale, die im Manöver
so gut zu kritisieren wüßten wie Wilhelm II. In dieser Beziehung kämen
ihm ganz besondere Gaben zustatten: seine rasche Auffassung, seine hohe
Fähigkeit der Assimilation, sein nie versagender Redefluß. „Wenn er, be-
gleitet von einem oder zwei tüchtigen Generalstäblern, die ihm das Nötige
soufflieren, einem Manöver beigewobnt hat, so hält er Ihnen nachher eine
Kritik, daß alle Augen und Ohren aufreißen.‘“ Lächelnd fügte der König
hinzu: „Dabei kann er nicht drei Mann über den Rinnstein führen.‘ Der
König gab hierbei der Besorgnis Ausdruck, die er mit sehr vielen teilte, daß
der Kaiser im Falle eines Kriegs die oberste Heeresleitung an sich reißen
würde, eine Aufgabe, der er in keiner Weise gewachsen wäre. Ich konnte
den König Albert in dieser Hinsicht vollständig beruhigen. Ich war immer
der Überzeugung, daß im Ernstfall der Kaiser eine solche Verantwortlich-
keit nicht auf sich nehmen würde, und die Ereignisse haben mir recht ge-
geben. Im Manöver war es anders. Der Kaiser wollte nicht nur kritisieren,
er wollte auch selbst führen. Als Führer aber wollte er immer siegen. Das
führte zu großen Unzuträglichkeiten, bisweilen zu fast komischen Szenen.
Ich entsiune mich eines Manövers, wo der Kaiser die blaue Armee führte.
Als am Vorabend der erwarteten Manöverschlacht im Hauptquartier der
roten Armee die Dispositionen für den nächsten Tag ausgegeben wurden,
erblickte der Chef des Generalstabs der Roten im Hintergrunde der Ver-
sammlung einen königlichen Flügeladjutanten. Gefragt, was er dort wolle,
erwiderte der Gute: „Allerhöchster Befehl!“ Es war klar, daß der Kaiser,
auf diese Art über Pläne und Absichten des Gegners vorher orientiert,
immer Sieger blieb. Eine andere Liebhaberei Seiner Majestät waren riesige
Kavallerieattacken, wie sie im Kriegsfall nie möglich gewesen wären gegen-
über dem vernichtenden Feuer der feindlichen Maschinengewehre und
Artillerie. Diese Attacken wurden für Seine Majestät sorgsam vorbereitet.
Wilhelm II.
bei den
MHerbst-
manövern