Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Unterredung 
mit dem 
italienischen 
Botschafter 
628 CONSTANTINO NIGRA 
Während die meisten der fremden Vertreter in Wien mir nicht viel zu 
sagen wußten, setzte mir der bedeutendste unter ihnen, der italienische 
Botschafter Graf Nigra, in einem langen Gespräch auseinander, daß ein 
Zusammenstoß zwischen Österreich und Italien auch vom italienischen 
Standpunkt aus nicht zu wünschen wäre. Die österreichische Politik gegen- 
über Italien sei oft recht ungeschickt. Es gäbe auch in Österreich eine ganze 
Anzahl verbissen antiitalienischer Elemente, denen man auf die Finger sehen 
müsse. Aber vom Standpunkt einer weitsichtigen italienischen Politik wäre 
das alte und morsche Österreich-Ungarn, das seit neunzig Jahren keinen 
einzigen Italiener entnationalisiert hätte, für Italien ein bequemerer Nach- 
bar als dieses oder jenes größere slawische Staatswesen, das eine anti- 
italienische Politik führen und bei einer solchen stets die mehr oder weniger 
offene Unterstützung von Frankreich finden, auch innerhalb seiner Gren- 
zen die italienische Nationalität bis aufs Messer bekämpfen würde. Graf 
Constantino Nigra, damals schon 76 Jahre alt, war einer der hervor- 
ragendsten Diplomaten, denen ich im Leben begegnet bin. Er verband die 
Haupteigenschaft, die der Diplomat haben muß, nämlich die durch nichts 
zu erschütternde Rube, mit einem feinen, penetranten Verstand, viel Tast- 
sinn, viel Flair, großer Biegsamkeit und, wo es notwendig war, stählerner 
Energie. Er hatte in jungen Jahren als Freiwilliger 1849 die Schlacht von 
Novara mitgemacht. Dann hatte ihn, den kaum dreiunddreißigjährigen 
Sekretär im italienischen Ministerium des Äußern, der ohne Vermögen, 
ohne großen Namen und ohne Konnexionen in das Leben eingetreten war, 
Cavour zum Gesandten in Paris bestimmt, wo er von 1860 bis 1876 wirkte. 
Er verstand es, sich das volle Vertrauen des Kaisers Napoleon III. zu er- 
werben, dessen träumerischer Natur der klare und nüchterne Verstand 
des Piemontesen imponierte. Er gewann das Herz der Kaiserin Eugenie mit 
seinen scharmanten Formen und seinen anmutigen Gedichten, er dominierte 
bei dem hitzigen, unüberlegten Prinzen Jeröme Napoleon durch seine eiserne 
Ruhe. Er hat wesentlich dazu beigetragen, daß Napoleon III. trotz des 
starken Widerstands, den seine italophile Politik in Frankreich fand, trotz 
der Angriffe, die fast alle älteren französischen Staatsmänner, Thiers an der 
Spitze, gegen sie richteten, trotz der klerikalen Richtung und der innerlich 
antütalienischen Gesinnung der Kaiserin Eugenie die Einigung Italiens 
bis auf Rom zuließ, obwohl er ursprünglich gern seinen Vetter, den Prinzen 
Jeröme, als König von Etrurien nach Florenz und seinen Vetter Murat als 
König nach Neapel gebracht hätte. Die Berichte des Grafen Nigra aus 
dieser Zeit scheuen nicht den Vergleich mit den besten Berichten der vene- 
zianischen Gesandten und päpstlichen Nunzien. Als das Empire zusammen- 
brach, geriet Nigra in eine nicht ganz leichte Situation zwischen seinen 
bonapartistischen Sympathien und Attachen und der gebotenen Rücksicht
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.