DIE PERLENKETTE DER ZARIN 633
Aus dem, was mir der Kaiser bei der Rückkehr von Wolfsgarten erzählte,
ging hervor, daß er diesen guten Rat nur bis zu einem gewissen Grade
befolgt hatte. Er rühmte sich, den Zaren von der Gottlosigkeit der fran-
zösischen Republik, der Unzuverlässigkeit der französischen Minister und
der Hinterlist der Engländer überzeugt zu haben. Der Zar habe zustimmend
gelächelt, als der Kaiser ihm gesagt hätte: „France is a sinking nation with
a decided dawnward tendency, the blood of its murdered king and nobility is
on the nation, which is beeing destroyed by atheism.“ Wie in seinen Briefen
an den Zaren, wenn sie mir nicht vor ihrer Absendung vorgelegen hatten,
konnte es der Kaiser auch bei mündlicher Unterhaltung mit Nikolaus II.
nicht unterlassen, diesen immer wieder gegen die französische Republik
aufzustacheln, obwohl ich ihn mehr als einmal an das Wort erinnert hatte,
das bei Goethe Tasso der Prinzessin entgegenhält, die ihm vorwirft, ihre
Freundin Leonore Sanvitale nicht genügend zu würdigen:
Wenn sie auch
Die Absicht hat, den Freunden wohlzutun,
So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt.
Der Kaiser hatte in seiner Unterredung mit dem Zaren im übrigen den
Eindruck gewonnen, den ich teilte, daß der Zar weder die Eroberung noch
den Zusammenbruch der Türkei erstrebe, daß er auch keinen Krieg mit
Japan wünsche, aber einen solchen vorbereite. Ein Lieblingsgedanke des
Kaisers Wilhelm II., auf den er namentlich Russen gegenüber oft zurück-
kam, war die Neutralisierung Dänemarks und seiner Gewässer. Ich hielt
demgegenüber an dem Standpunkt fest, daß wir schon im Hinblick auf
unser Verhältnis zu England uns hinsichtlich der Ostsee auf keine Ab-
machung einlassen könnten, auch keinerlei Verpflichtung, die russische
Östseefront zu verteidigen, übernehmen dürften, wenn uns Rußland nicht
vorher seinerseits unseren Besitzstand garantiere. Mit Bezug auf die
russisch-japanischen Beziehungen hatte ich den Kaiser, bevor wir nach
Darmstadt fuhren, gebeten, bei aller Betonung der traditionellen Freund-
schaft mit Rußland, die ihm unsere wohlwollende Neutralität sichere,
keinerlei Verpflichtungen ohne entsprechende Gegenleistung zu über-
nehmen. Zu dem Diner, das abends in Wolfsgarten stattfand, erschien die
Kaiserin Alexandra Feodorowna in einer schr schönen Toilette. Sie trug
eine Perlenkette, deren einzelne Perlen groß wie Haselnüsse waren, und die
bis an ihre Füße reichte. Diese schöne Frau, die für Glück und Glanz
gemacht zu sein schien, die auf einem der mächtigsten Throne der Welt saß
und von ihrem Mann auf Händen getragen wurde, sollte kaum vierzehn
Jahre später am fernen Ural von schmutzigen und rohen Kommunisten-
händen abgeschlachtet werden, weit, sehr weit vom heimatlichen Oden-