mit Deiner Auffassung von seinen letzten Zielen und den Mitteln, mit denen er sie
erreichen wollte. Aber gegen eine Klage, die Du in Deinem Brief äußerst, muß ich
energisch Einspruch erheben! Er soll die Herzen von uns drei ältesten Kindern den
Eltern entfremdet haben. Was die beiden andern für sich dagegen sagen können,
weiß ich nicht, aber für mich kann ich nur ganz einfach, aber fest und mit reinem
Gewissen, antworten: „Nein!“ Er hat niemals gewagt, und ich hätte ihm auch
niemals gestattet, in meiner Gegenwart über Dich oder den lieben Papa Bemer-
kungen zu machen! Aber wenn Du damit die Möglichkeit andeuten willst, ich
hätte helfen sollen, den damals allmächtigen Kanzler in den Tagen von Papas
Regierung zu stürzen, so gestehe ich ganz offen, daß ich ganz und gar dagegen
war, und aus einem sehr guten Grunde. Großpapas Tod hatte das Land so ent-
setzlich verwirrt und verstört gemacht, daß es ganz von Sinnen war, ja beinahe
hysterisch. In dieser Stimmung blickte das Volk nicht aufunsals die einzigen Über-
mittler und Bewahrer deralten Tradition — das war ein schwerer Fchler, und es war
seine hinterlistigste Tat— aber es war eine Tatsache! Hätte Papa und ich mit ihm
Bismarck fortgeschickt, so wäre gegen ihn und gegen Dich ein solcher Sturm los-
gebrochen, daß wir einfach machtlos gewesen wären, ihn auszuhalten, und über
des armen Papas letzte Tage Bitternis gekommen wäre, daß Papas glänzendes,
unauslöschliches Bild in den Augen des Volks verdorben worden wäre, ja daß Dein
Bleiben in Deutschland vielleicht gefährdet, vielleicht unmöglich geworden wäre.
Für den Augenblick war Bismarck Herr der Situation und des Reiches! Und das
Haus der Hohenzollern war so gut wie gar nichts! Hätten wir auch nur versucht,
an ihn zu rühren, so hätten sich alle deutschen Fürsten — ich wurde heimlich
davon in Kenntnis gesetzt — wie ein Mann erhoben und hätten uns gezwungen,
den Kanzler wiederzuholen, dem wir und besonders später ich auf Gnade und
Ungnade ausgeliefert gewesen wäre! Die Lage war einfach unmöglich. Von diesem
Augenblick verstand ich die furchtbare Aufgabe, die Du damals nicht sahst, die
der Himmel mir gestellt hatte: die Aufgabe, die Krone zu retten vor dem über-
wältigenden Schatten ihres Ministers, die Person des Monarchen erst einmal an
„seinen“ Platz zu bringen, die Ehre und die Zukunft unseres Hauses zu retten
vor dem verderblichen Einfluß des Mannes, der uns unseres Volkes Herz gestohlen
hatte, und ihn büßen zu lassen, was er an Papa, an Dir und selbst an Großpapa
gefrevelt hatte! Schrecklich genug für einen jungen Mann von dreißig Jahren!
Seine Regierung damit anfangen zu müssen, nachdem eine so glorreiche erst eben
vorüber war! Ich aber fühlte, was meine Pflicht war, und Gott sei gedankt, Er
half mir. Ohne ihn war ich verloren. Als der Kampf sich erhitzte und Bismarck
seine verwegensten Ränke gegen mich anfing, wobei er nicht einmal vor Hoch-
verrat zurückschreckte, ließ ich ihm sagen: Mir schiene, er wolle die Hohenzollern
niederreiten zu Gunsten seiner eigenen Familie; sei das der Fall, so wolle ich ihn
warnen, denn der Versuch sei vergeblich, und er würde der verlierende Teil sein.
Die Antwort war, wie ich sie erwartet hatte. Und ich warf ihn nieder und streckte
ihn in den Sand zur Rettung meiner Krone und unseres Hauses! Seit jenen
schrecklichen Jahren mußte ich den Sturm von Deutschlands Gefühlen über
mich ergehen lassen und die niedrigsten Ränke des aufgeregten Wüterichs
Bismarck! Dasselbe hätten der arme Papa und Du sonst aushalten müssen! Ich