INTRIGANTEN 43
Begehrlichkeit der agrarischen Konservativen wird nur durch ihre Borniert-
heit übertroffen. Man könnte peu ä peu alles mittelst divide et impera und
ohne irgendwelche Konzession von den Leuten erreichen, und so macht
man immer das Umgekehrte von dem, was zum Ziele führt. Diese Vereins-
novelle! Wie der alte Hohenlohe darin willigen konnte, ist mir noch un-
klar, da ich einige Zeit ohne Nachricht bin. Und dann dieser Hornochse,
der Recke, der steht ja noch tief unter Köller. Sein Auftreten war ein gerade-
zu klägliches. Ein zweites hübsches Lied könnte ich Ihnen von dem zweiten
‚Versprechen‘ des Kanzlers singen, der Strafprozeßsache. Das Schlimmste
ist, daß der Standpunkt der sogenannten Berliner Regierung je nach dem
momentanen Einbläser immer wieder wechselt. Zweimal konzedierte man
Bayern seinen obersten Gerichtshof, zweimal nahm man dies zurück. Der
Patriot muß wirklich sein Haupt verhüllen. Der klare Mann sicht den Ab-
grund, dem wir zueilen, aber ändern kann er es nicht. So denkt ja auch
Holstein. Inzwischen ist innerhalb Deutschlands und angesichts des Ein-
greifens des Kaisers auch in die äußere Politik doch ziemlich weiten Kreisen
die Einsicht aufgegangen, wie vortrefflich die Nachfolge des großen Kanz-
lers, in dessen eigenstem Departement der Wilhelmstraße, ihres Amtes
waltet. Ich konnte dies unzweifelhaft konstatieren. Nur so erklärte es sich
auch, daß die allgemeine Enttäuschung über das Vereinsgesetz, die trotz der
Landratskammer bis weit in konservative Kreise reicht, sich nicht in In-
vektiven gegen den alten Kanzler Luft machte. Allseitig, am wenigsten von
der ‚Kreuzzeitung‘ und ihrem traurigen Agrariergefolge, wurde Hohenlohe
geschont. Auch wird bisher noch von keiner Seite, außer gewissen Kuckucks-
eier legenden Intriganten, die Einlösung des zweiten Versprechens
urgiert. So möchte ich beinahe hoflen, wir erreichen das Triennium des
Hohenloheschen Kanzlertums. Was aber dann ?! Alfred wird Ihnen erzählt
haben, welch tiefen Groll S. M. gegen Marschall hegt und wie Alfred und
ich inständigst auf Phili einwirken, daß er dagegen Einspruch erhebt.
Phili sagte dies auch zu und erkennt am besten die momentane Unentbehr-
lichkeit von Marschall. Geht aber Marschall, geht auch Holstein, wie wohl
auch Hohenlohe, der jetzt sehr richtig bedauert, Bronsart geopfert zu
haben, ohne Marschall nicht bleibt. Utinam dii immortales hanc rem bene
vertant, können wir nur sagen. Hoffentlich sehe ich Sie diesen Sommer. Gott
behüte Sie. Empfehlen Sie mich Ihrer lieben guten Frau. Stets Ihr treuer
Anton Monts.“
Die Situationsberichte von Monts gaben mir von der Lage der Dinge
in Deutschland ein in manchen Einzelheiten und insbesondere in den
Werturteilen nicht immer zutreflendes, aber doch auf scharfer Beobach-
tung beruhendes Bild. Es war ein für die mir bevorstehende Aufgabe wenig
ermutigendes Bild. Und was das Übelste war: die Schilderungen von
Der Wert der
Montsschen
Berichte