Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Das deutsch- 
öster- 
reichische 
Bündnis 
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Bismarck vorausgeschen und vorausgesagt worden war, automatisch die 
russisch-französische Allianz zur Folge gehabt, die bei den beteiligten 
Völkern inzwischen viel zu sehr in succum et sanguinem übergegangen 
war, als daß an ihre Aufhebung gedacht werden konnte. Die große Mehrheit 
der Franzosen scheute den Krieg, aber Elsaß und Lothringen, Metz und 
Straßburg waren nicht vergessen. Nur wenige erlesene Geister träumten in 
Frankreich den schönen Traum von allgemeiner Völkerversöhnung und 
durch sie von einem ewigen Frieden. „Qui dit alliance russe, dit revanche“, 
sagte in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein kriegsscheuer 
Deputierter zu dem Präsidenten der Patriotenliga Paul Deroulede. Dieser 
erwiderte, den Ägstlichen beruhigend: „Qui dit alliance russe, dit securite 
de la France.“ Die weit überwiegende Mehrheit des französischen Volkes 
sah in der Allianz mit Rußland, wenn nicht die einzige wirkliche, so doch 
die ganz überwiegende Garantie gegen einen deutschen Angriff. Aber auch 
in Rußland war an eine Preisgabe dieser Allianz und Abwendung von 
Frankreich nicht mehr zu denken. Keine russische Regierung konnte, noch 
dazu unter einem schwachen Herrscher wie Nikolaus II., es wagen, die 
Allianz mit Frankreich wieder aufzuheben. Es blieb also für uns nur übrig, 
im Rahmen dieser Allianz und trotz dieser Allianz zu Rußland ein Ver- 
hältnis aufrechtzuerhalten, das uns vor einem Zusammenstoß mit ihm 
bewahrte. Das war eine Frage diplomatischer Geschicklichkeit. „Im 
Westen freilich kann der Topf einmal überkochen, daß wir aber von Osten 
her angegriffen werden, glaube ich nicht, wenn unsere Diplomatie so ge- 
schickt ist, wie sie sein könnte“, hatte am 10. Juli 1892 der Alte im Sachsen- 
walde einer Abordnung württembergischer Verehrer gesagt, die er mit 
den Worten aus Schillers „Glocke“ begrüßt hatte: „Friede sei ihr erst 
Geläute.“ 
Die Aufrechterhaltung friedlicher und freundlicher Beziehungen zu 
Rußland war nur möglich bei sorgsamer Beachtung der Punkte, wo wir 
uns nicht in einen nicht wieder gut zu machenden Gegensatz zu Rußland 
stellen durften. Wir mußten Rußland zwar keinen Zweifel darüber lassen, 
daß wir ihm Österreich-Ungarn nicht opfern wollten, noch konnten. Aber 
Rußland mußte immer den Eindruck haben, daß die Führung im deutsch- 
österreichischen Bündnis bei Deutschland lag und daß die deutsche Politik 
ein gutes Verhältnis zu Rußland im friderizianischen und bismarckschen 
Sinne wünsche und ehrlich erstrebe. In specie durfte in Rußland keiner- 
lei Zweifel darüber aufkommen, daß wir trotz unserer wirtschaftlichen 
Interessen in der Türkei in der Dardanellenfrage uns Rußland nicht in 
den Weg stellen würden. An dieser für Rußland empfindlichsten Stelle 
durften wir ihm nicht entgegentreten, das mußten wir anderen überlassen. 
Die Öffnung der Dardanellen für russische Kriegsschiffe war mit dem Fort-
	        
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