Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

Bülow und 
Marschall 
52 DAS DORNENVOLLE AMT 
Eingedenk eines alten Bülowschen Stammbuchverses, daß der nicht schon 
ein Edelmann sei, der aus großem Stamm geboren wäre oder Geld und Reich- 
tum habe,sondern daß Tugend und daß Höflichkeiteinen Mann adelten, hatte 
ich von Kiel aus an meinen Vorgänger, Herrn von Marschall, einige liebens- 
würdige Worte geschrieben. Dieser wußte nur zu gut, daß er wie jeder, der 
einige Jahre im Amt war, sich manche Feinde gemacht hatte. Er wußte vor 
allem, daß er beim Kaiser in Ungnade gefallen war und daß diese allerhöchste 
Ungnade für manche Ratte unter seinen bisherigen Kollegen wie bei seinen 
bisherigen Untergebenen das Signal gewesen war, sein sinkendes Schiff zu 
verlassen. Ich wollte ihm den Abschied aus leitender Stellung versüßen 
und ihn gleichzeitig über seine Zukunft beruhigen. Ich schalte seine Ant- 
wort ein, die nicht nur interessant ist durch die Verteidigung seiner Haltung 
und Politik während der sieben Jahre seiner Wirksamkeit als Staatssekretär 
des Äußern, sondern auch durch ihren warmen und für mich wahrhaft 
freundschaftlichen Ton. An dieser Tonart hielt Freiherr von Marschall fast 
mit Begeisterung fest, solange ich Staatssekretär und Reichskanzler war. 
Ich gestehe meine Naivität, denn ich besaß damals noch nicht die Er- 
fahrungen und infolgedessen auch nicht die Menschenkenntnis, die ich 
seitdem durch das Schicksal erhielt, das Goethe einen vornehmen, aber 
kostspieligen Lehrmeister nennt: Ich glaubte wirklich, Herr von Marschall 
wäre mir dankbar, daß ich ihm, der, wenn auch nicht in erster Linie, 
so doch zu einem guten Teil die Verantwortung für die Kündigung des 
Rücl gsvertrages mit Rußland wie für die Krüger-Depesche trug, 
eine schöne Botschaft und damit ein Feld für neue und ersprießliche Wirk- 
samkeit gegen mancherlei Widerstände verschafft hatte. Es ist mir in 
späteren Jahren sogar gelungen, beim Kaiser für ihn den Schwarzen Adler- 
orden durchzusetzen, den der ehemalige „Verräter“ mit Freude und mit 
Stolz trug. Leider muß ich hinzufügen, daß seine Freundschaft für mich mit 
dem Tage aufhörte, wo ich mein Amt niederlegte. 
„Denn so ändert sich der Sinn der sterblichen Erdenbewohner, 
So wie die Tag’ herführet der waltende Vater vom Himmel.“ 
Also sprach vor dreitausend Jahren zum verständigen Amphinomos 
der vielgewanderte Odysseus. Ich lasse den Brief des Freiherrn von 
Marschall folgen: 
Verehrter Freund! 
Empfangen Sie meinen aufrichtigsten Dank für Ihren freundlichen Brief. 
Niemand vermag besser zu würdigen als ich, wie schwer Ihnen der Ent- 
schluß geworden, das dornenvolle Amt anzunehmen, welches das Vertrauen 
Sr. Majestät Ihnen beschieden hat, aber ich darf hinzufügen, wie auf-
	        
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