Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DIE GARDINENPREDIGT 59 
Er dürfe nichts tun und nicht zu viel sagen, was den inneren und unter 
Umständen auch den äußeren Frieden gefährden könne. „Aha!“ lachte der 
Kaiser, „nun fängt die Gardinenpredigt an! Na, nur immer los.“ Ich hob 
freimütig den sehr ungünstigen Eindruck hervor, den die Brandenburger 
Rede auch auf absolut königstreue Kreise ausgeübt habe, und wies darauf 
hin, daß es nicht vorsichtig und jedenfalls nicht nötig gewesen wäre, bei 
der Enthüllung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals in Köln am Waterloo-Tage 
England mit dem Dreizack, der in unsere Faust gehöre, vor der Nase herum- 
zufuchteln. Ich wisse wohl, daß wir in Deutschland, wie die Verhältnisse 
bei uns nun einmal lägen, den Bau der zu unserer Verteidigung nötigen 
Flotte nur durchsetzen würden, wenn die dazu notwendige nationale Stim- 
mung hervorgerufen werde. Marschall und Bötticher hätten das Ziel durch 
Verhandlungen mit den Fraktionen und Fraktionsführern erreichen wollen, 
das seiso aussichtslos wiedie Bemühungen der Danaiden, Wasser in ein boden- 
loses Faß zu schöpfen. Bei den Konservativen sei vorläufig wenig Neigung 
für den Bau der Flotte vorhanden. Das Zentrum würde unter Umständen 
mitmachen, aber verlangen, daß ihm zur Belohnung eine große Extrawurst 
gebraten würde. Sicher wären eigentlich nur die Nationalliberalen und viel- 
leicht ein Teil des Freisinns, die sogenannten Wadenstrümpfler, die Hof- 
gänger um Rickert und Barth, schwerlich aber Eugen Richterin den Wasser- 
stiefeln seiner etwas engen und philiströsen Anschauungen. Mit heftigem 
Widerstand von seiten der Sozialdemokratie wäre natürlich unter allen 
Umständen zu rechnen. Die Parteien und vor allem ihre Führer würden nur 
mitmachen, wenn wir im Lande eine starke Strömung für den Flotten- 
gedanken hervorriefen. Wir müßten die nationale Trommel rühren. „Nur 
zu, nur zu!“ rief freudig und begeistert der Kaiser. Ich sagte ihm, daß 
Flottenverein, Professoren und Patrioten von allen Richtungen gewiß das 
ihrige tun würden. Es käme aber darauf an, dadurch nicht die Beziehungen 
zu England in einer nicht wieder gutzumachenden Weise zu verderben. Ich 
sei fest überzeugt, daß wir den Bau einer für unsere Bedürfnisse, d. h. für 
unsere Sicherheit und zu defensiven Zwecken ausreichenden Flotte ermög- 
lichen könnten, ohne mit England in Krieg zu geraten, wenn wir uns aller 
Exzentrizitäten enthielten, andererseits England aber auch nicht dadurch 
die Flanke zu erfolgreichem Angriff böten, daß wir mit Rußland in Feind- 
schaft oder gar in ernstlichen Konflikt gerieten. 
Der Kaiser beteuerte mir mit dem Akzent voller Aufrichtigkeit, daß er 
nichts sehnlicher wünsche, als mit Rußland die Freundschaft wiederherzu- 
stellen, die zu den Zeiten seines Großvaters und seines Urgroßvaters diebeiden 
Höfe und die beiden Länder verbunden habe. „Und dann sollen die Engländer 
vor Neid platzen.“ Ich erwiderte, man dürfe sich in der Politik nievondem 
Wunsche leiten lassen, diesen oder jenen zu ärgern. Also nicht Rußland
	        
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