Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Erster Band. Vom Staatsseketariat bis zur Marokko-Krise. (1)

DER SENDBOTE 63 
Äußerungen finden selten dauernden Widerhall, tadelnde, gehässige und 
persiflierende Auslassungen haften dagegen sehr häufig. 
„Der Menschen Sünden leben fort in Erz; 
Ihr edles Wirken schreiben wir ins Wasser!“ 
sagt in Shakespeares „König Heinrich der Achte“ der Marschall der Köni- 
gin Catharina, der würdige Griffith, zu seiner unglücklichen Herrin. 
Herr von Lucanus war alles in allem von den beiden Bewerbern um die so 
wichtige Stelle zweifellos der geeignetere. Das Zentrum mochte ihn nicht, 
weil es nicht vergessen konnte, daß Lucanus während des Kulturkampfes 
unter dem Minister Falk im Kultusministerium tätig gewesen war. Auch 
die Konservativen liebten Lucanus nicht, den sie für einen liberal ge- 
richteten Beamten hielten. Er gehörte in der Tat zu jener Schule altliberaler 
Geheimräte, die unter Friedrich Wilhelm III. Preußen verwaltet hatten, 
unter Friedrich Wilhelm IV. vielfach von Romantikern, Pietisten und 
Hyperkonservativen verdrängt worden waren, von Bismarck nicht geliebt 
wurden, aber unter ihm doch wieder in die Höhe kamen, da sie ihm durch 
ihre Tüchtigkeit und durch ihr ausgesprochenes Staatsbewußtsein unent- 
behrlich waren. Herr von Lucanus besaß nicht nur eine jeder Anforderung 
gewachsene, immer parate Arbeitsfreudigkeit und Arbeitsfähigkeit und 
ungewöhnliche Kenntnisse auf allen Gebieten der Gesetzgebung und Ver- 
waltung, sondern, und das ist das höchste Lob für ihn, scin Leitstern war 
im letzten Ende immer die Staatsräson. Er machte sich keine Illusionen 
darüber, daß manche Eigentümlichkeiten und Eigenschaften Kaiser Wil- 
helmsII. ernste Gefahren für den Monarchen selbst wie für das Land in sich 
bargen. Aber eben deshalb sah er seine Aufgabe darin, mit allen Kräften 
dahin zu wirken, daß die Regierung gerade dieses Monarchen für ihn selbst 
und sein Haus wie für Preußen und Deutschland ohne nachhaltigen 
Schaden ablaufe. 
Herr von Lucanus besaß eine Schnelligkeit im Redigieren, wie sie mir 
selten begegnet ist. Als auf der „Hohenzollern“ im Sommer 1898 die 
Nachricht vom Tode des Fürsten Bismarck eintraf, verfaßte Herr von 
Lucanus, auf einer Bank der kaiserlichen Jacht sitzend, den Taschenbleistift 
in der Hand und einen Papierblock auf den Knien, in einer Viertelstunde 
die anläßlich des Heimgangs des größten deutschen Staatsmanns vom 
Kaiser an das deutsche Volk und seine Fürsten zu richtende Kundgebung, 
die, was in Deutschland nicht häufig ist, allgemeine Zustimmung fand. 
Fürst Bismarck grollte seit seinem Rücktritt Herrn von Lucanus, weil 
dieser ihm im unheilvollen Märzmonat 1890 die kaiserliche Weisung über- 
bracht hatte, schleunigst seinen Abschied einzureichen. Der Fürst hatte 
sich selbst oft genug über jene Könige des Mittelalters lustig gemacht, die 
Lucanus
	        
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