Hahnke
64 DER APOTHEKER
den Boten, der eine Trauerkunde brachte, an dem nächsten Baum auf-
knüpfen ließen.
Das große Publikum sah in Herrn von Lucanus vor allem den Beam-
ten, der den für den Abschied reifen Ministern die seidene Schnur
zu überbringen hatte. Man konnte ihn auch dem Hermes-Psychopompos
vergleichen, der im 24. Gesang der Odyssee die Seelen der erschlagenen
Freier in den Hades und zur Asphodeloswiese führt, in den Händen den
Machtstab, schön aus Gold gebildet, und schwirrend folgen die Seelen.
Eugen Richter hat dieses Thema in seiner „Freisinnigen Zeitung“ in vielen
Variationen und nicht ohne Witz behandelt. Kiderlen, der eine lose Zunge
hatte, war mehrfach, aber vergebens bemüht gewesen, Herrn von Lucanus
dadurch beim Kaiser zu ridikülisieren, daß er erzählte, Lucanus sei der
Sohn eines Halberstädter Apothekers. Damit hatte er auf Wilhelm II. gar
keinen Eindruck gemacht. Der Kaiser dachte viel zu vorurteilslos, um
irgend jemandem seine Abkunft vorzuwerfen, geschweige denn die Abstam-
mung von einem Pharmazeuten, wo doch gerade die Apothekerkunst
besondere Sorgfalt, Vorsicht und gute Kenntnisse verlangt und schon bei
den Griechen wie bei den Arabern, im Italien des früheren und im Deutsch-
land des späteren Mittelalters hoch in Ehren stand. Der Tod des Kabinetts-
rats von Lucanus, der im August 1908 mit 77 Jahren in seinem Amt ver-
schied, war ein schwerer Verlust für Kaiser Wilhelm II., zumal der erfahrene
und kluge Staatsmann, der zwei Jahrzehnte hindurch der Krone und dem
Land hervorragende Dienste geleistet hatte, durch den subalternen, ganz
mittelmäßigen Herrn von Valentini ersetzt wurde.
Der Chef des Militärkabinetts, der damalige Generaladjutant, spätere
Generalfeldmarschall von Hahnke, war ein würdiger Vertreter der ruhm-
vollen Infanterie unseres alten Heeres. Er war aus der Gardeinfanterie
hervorgegangen, an der er mit allen Fasern hing. Nahe Freundschaft hatte
ihn viele Jahre mit einem anderen Vorbild jedes echten preußischen Garde-
infanteristen verbunden, mit dem Generaloberst von Pape, der am 18. Au-
gust 1870 den Angriff der 1. Garde-Infanterie-Division auf St-Privat führte.
Mochte die militärische Kritik aus Gründen der Taktik an diesem berühm-
ten Angriff noch so viel aussetzen, mit Stolz gedachte jeder Gardist und
jeder gute Preuße des herrlichen Angriffs, den ein Wandgemälde in der
Ruhmeshalle darstellt. Der Garde war befohlen worden, nachdem sie ge-
schossen hatte, sich auf die Erde zu werfen, damit die feindliche Salve über
sie weggehe. Sie blieb aber stehen und schwenkte die Helme mit dem lauten
Ruf: „Vorwärts! Nur immer vorwärts!“ Im heftigsten Feuer war General
von Pape die Front heruntergeritten. Von seinem zahlreichen Stabe wurden
alle Offiziere getötet oder verwundet bis auf den Leutnant von Esbeck-
Platen, der später lange Jahre diensttuender Zeremonienmeister war, ein