Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

AUSWÄRTIGE LAGE ERNST 83 
Nimmer sich beugen, 
Kräftig sich zeigen, 
Allen Gewalten 
Zum Trotz sich erhalten 
die Arme der Götter herbeiruft und das Schicksal zwingt. 
Gewiß, die auswärtige Lage war ernst. Die Indier sagen, jeder Mensch 
trüge sein Schicksal auf seiner Stirn geschrieben. So auch die Völker. Dem 
deutschen Volk bedeutet seine geographische Lage in der Mitte von Europa, 
eingepfercht zwischen Franzosen und Slawen, sein Schicksal. In diesem 
Sinne habe ich geschrieben*, eingekreist seien wir seit dem Vertrage von 
Verdun, seit mehr denn tausend Jahren. Die Schwierigkeiten unserer Lage 
wurden erhöht durch die englische Eifersucht auf die sich immer mächtiger 
entfaltende, immer stürmischer, vielleicht zu stürmisch auf allen Welt- 
märkten vordrängende deutsche Industrie. Die Demokratie unserer großen 
Städte, die Asphalt-Demokratie, wie ich sie einmal genannt habe, verstand 
nicht, daß ich für den Schutz der deutschen Landwirtschaft nicht nur aus 
Gründen innerpolitischer ausgleichender Gerechtigkeit eintrat. Ich sah in 
einer blühenden Landwirtschaft auch ein Gegengewicht und einen Hemm- 
schuh gegen eine zu ausschließlich industrielle Entfaltung, die aus inner- 
wie aus außenpolitischen Erwägungen gleich bedenklich war. Aber schon 
Bismarck hatte gesagt, daß sich unsere industrielle Entwicklung nicht 
gewaltsam „kappen“ ließe. Wo wir uns nun einmal in dieser Richtung 
entwickelten, mußten wir, aus den in meinen öffentlichen Reden und jetzt 
in diesen meinen Denkwürdigkeiten oft dargelegten Gründen, den großen, 
von uns der See anvertrauten Teil unseres Nationalvermögens schützen, 
d.h. Kriegsschiffe bauen, was die englische Feindschaft gegen uns erheblich 
verschärfte und damit die Schwierigkeiten unserer Politik vermehrte. Als 
ich 1904 Seine Majestät zur Vereidigung der Marinerekruten nach Wilhelms- 
baven begleitete, hatte während des im Anschluß an die Vereidigung im 
Marinekasino stattfindenden Mittagessens der Kaiser, neben dem ich saß, 
plötzlich seine Hand auf meinen Arm mit den leise gesprochenen Worten 
gelegt: „Ist es nicht entsetzlich, zu denken, daß diese guten blauen Jungen, 
denen ich soeben den Eid abgenommen habe, vielleicht in wenigen Wochen 
tot auf dem Grund der Nordsee liegen sollen?“ Während er dies sagte, 
sprach aus seinen guten Augen eine solche Webmut, so viel Kümmernis 
und Sorge, daß es mir durch das Herz schnitt. Diese menschlich gewiß 
begreifliche Regung konnte aber nicht meine aus ruhiger Prüfung der Lage 
hervorgehende Überzeugung beeinflussen, daß trotz aller drohenden Reden 
der englischen Seeleute, deren bedeutendster, Lord Fisher, dem König 
  
* Deutsche Politik, 9. 293,
	        
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