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sich schon schwierig ist, ihn auf Irrtümer aufmerksam zu machen.“ Lich-
nowsky sei der einzige, der mir gelegentlich den Revers meiner inneren
Politik zeigen könne, er sei vorurteilslos und freidenkend. Er müsse mir
sagen, daß auch der Klügste irre und daß ich die ultramontane Gefahr be-
deutend unterschätze. Opfere ich die Schule den „Römlingen“ und schlüge,
namentlich in bezug auf die Universitäten, „bayrische Wege‘ ein, so
wären wir verloren, so würde uns Frankreich geistig den Rang ablaufen.
„Der Bund mit dem Pfaffen führt zum Orkus.“ Monts, der sich, als er diesen
Brief schrieb, gerade auf Urlaub in Südtirol, in Campiglio befand, wies
darauf hin, daß man in diesem ganz unter geistlichem Einfluß stehenden
Lande sehen könne, wohin die Herrschaft der katholischen Kirche führe.
„Dabei verkommt das schöne Land, da der Pfaff’ jede Aufklärung und
jeden Fortschritt in Ackerbau und Waldwirtschaft verhindert. Grenzenlose
Armut und Stumpfheit herrschen vor.“ Über den neuen Papst Pius X.
meinte Monts: „Über Papst Sarto bin ich noch nicht informiert. Er wird
bei den römischen vielfachen Totalisatoren als Outsider kolossale Quoten
gebracht haben. Meo voto ist jetzt für den ‚Stuhl‘ die Hauptfrage die
französische. Die Basis der materiellen Erkenntnis bildet für die Firma
Heiliger Stuhl die gallische Kirchenprovinz. Wird nun Piuschen X. nach-
geben, z.B. in der Besuchsfrage?... Die Sorge ist nicht unbegründet,
daß uns frei erzogene Franzosen geistig ein- resp. überholen, zumal, wenn
wir weiter die jetzigen Wege wandeln. Es gibt Kleriker in Rom, die im Ab-
falle Frankreichs das Ende der universalen geistigen Großmacht des
Papstes erblicken. Das wäre ja an und für sich für uns nur erwünscht,
könnte aber bei Lage unserer inneren Dinge die unerfreuliche Rückwirkung
haben, daß wir uns an Frankreichs Stelle zum Protector Petri aufwerfen,
was nur zu neuen Konzessionen gegenüber der Geistlichkeit und zu äußeren
Niederlagen führen müßte. Ich begegne leider immer erneut der völligen
Verkennung der Institution des Papsttums, das nun einmal generell das
fatale Deutschland mit seinem protestantischen Kaisertum und Luthertum
als Urquell aller Bedrängnisse ansieht... Aber wir, die idealen Deutschen,
konstruieren uns Traumgebilde von Schwesterkirche, Thron und Altar,
Gottesfurcht und Untertanentreue, die auf dem Boden rechtgläubiger
römischer Weltanschauung schlechterdings Blech sind... Doch wissen
Sie, lieber Lichnowsky, das alles ja viel besser als ich.‘“ Monts würde wahr-
scheinlich noch mehr getobt haben, wenn er gewußt hätte, wie wohlwollend
mir auch der neue Papst Pius X. gesinnt war. Schon im Frühjahr 1904
hatte mir der damalige Reichstagsabgeordnete Freiherr von Hertling,
der spätere Reichskanzler, der in meinem Auftrage zweimal in besonderer
Mission in Rom geweilt hatte, nach seiner Rückkehr nach München von
dort geschrieben: „Alsich am Schluß meiner Abschiedsaudienz den Heiligen