Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

102 DR. MICHAELIS 
als irgendein anderes bochadliges Haus. Diesem Haus war die strahlend 
schöne Fürstin Elisabeth Carolath entsprossen, die von Herbert Bismarck 
bewogen wurde, sich von ihrem ungeliebten Gatten scheiden zu lassen. 
Als aber nach erfolgter Scheidung Herbert die Freundin heiraten wollte, 
stieß er auf heftigen Widerspruch bei seinen Eltern, und es erging der 
armen Elisabeth wie der auf Naxos von Theseus verlassenen Ariadne. 
Herbert ließ sie sitzen und heiratete elf Jahre später die Gräfin Marguerite 
Hoyos. Ich bin noch heute überzeugt, daß der Konflikt, den er damals durch- 
kämpfen ınußte, bei Herbert Bismarck tiefe Spuren hinterlassen hat und 
daß diese seinem Herzen geschlagene Wunde nie ganz vernarbt ist. Eine 
geistig bedeutende Tochter des Geschlechts war die Gräfin Sophie Hatz- 
feldt, die Freundin von Ferdinand Lassalle. Sie war die Mutter des Bot- 
schafters Paul Hatzfeldt. Bei dem Oberpräsidenten von Schlesien, dem 
Herzog von Trachenberg, regte sich Cupido noch im späten Alter. Er wurde 
von einem Schaffner überrascht, als er in der Eisenbahn zwischen Breslau 
und Berlin einer jungen schlesischen Komteß Unterricht in den Anfangs- 
gründen der ars amandi erteilte. Der Schaffner stellte den Herzog scharf zur 
Rede, dieser erwiderte allzu heftig. Als der Herzog, der für knauserig galt, 
den Mann des Gesetzes durch ein mehr als kärgliches Trinkgeld zu beruhigen 
trachtete, drohte dieser mit Strafanzeige. Um einem Skandal zu entgehen, 
reichte Hatzfeldt-Trachenberg seinen Abschied ein, der ihm in Gnaden 
und mit einem Orden bewilligt wurde. Dankbar und gerührt schrieb mir 
der edle Herzog: „Eurer Durchlaucht geehrte vorgestrige Zeilen verpflichten 
mich zu neuem Dank. Wenn ich meinen wärmsten Dank hiermit zum Aus- 
druck bringe, bitte ich gleichzeitig die Versicherung aufrichtiger Verehrung 
entgegennehmen zu wollen als Eurer Durchlaucht gehorsamster Hatzfeldt.“ 
An Stelle Hatzfeldts wünschte der Kaiser den ihm befreundeten Grafen 
Tiele-Winkler auf Moschen, einen der reichsten schlesischen Magnaten, 
oder den Prinzen Heinrich XXVIII. Reuß zu setzen, der das war, was die 
Engländer „a good whip‘‘ nennen, das heißt ein Gentleman, der ein Vierer- 
gespann vom Bock zu lenken versteht. Lucanus frug bei mir an, ob ich 
meine Zustimmung zu der einen oder der anderen dieser beiden Kandida- 
turen geben würde. Dabei ließ er einfließen, daß, wenn Tiele oder Reuß 
Oberpräsident werden sollte, der Oberpräsidialrat Dr. Michaelis durch eine 
bessere Kraft ersetzt werden müsse, denn er sei schon unter normalen Ver- 
hältnissen unzureichend, geschweige denn unter einem wenig geschulten 
Aristokraten. Ich hätte damals wahrlich nicht gedacht, daß zwölf Jahre 
später derselbe Büromensch, der nicht der bescheidenen Stellung eines 
Oberpräsidialrats in Breslau gewachsen war, in denkbar ernstester, kriti- 
scher und bedrohter Lage des Landes zum Kanzler des Deutschen Reichs 
ernannt werden würde. 1905 gelang es mir, als Nachfolger des Herzogs
	        
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