Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Der Zar 
revoziert 
Björkö 
150 ALA HUSSARDE 
möglichste zu tun, damit das, was der Kaiser in Björkö erreicht zu haben 
glaube, dem Vaterland und unserer Politik tatsächlich zum Vorteil gereiche. 
Gegenüber seinen Sorgen und Ängsten erinnerte ich ihn an den Spruch des 
ersten und größten Oraniers: „Saevis tranquillus in undis.‘“ Das wäre 
dessen Wahlspruch gewesen, unter einem Sturmvogel, der über Wellen und 
Stürmen ruhig, ganz ruhig und still schwebe. Auch der tapfere Oranier 
wäre von Feinden und Neidern bedrängt worden, hätte ihnen aber mit 
Ruhe und Ausdauer standgehalten. An seinem Vorbild möge der Kaiser 
sich aufrichten. Wenn er mich weiter verwenden wolle, so würde ich ihm 
zur Seite stehen in Dankbarkeit und Hingebung und mit dem einzigen 
Wunsch und Gedanken, ihm so zu nützen, wie es meiner Pflicht und 
meiner Liebe zu ihm und zum Lande entspräche. Ich schloß mit der 
Bitte, mich wissen zu lassen, wann ich ihm über einen etwaigen Brief an 
den Zaren und über die allgemeine Lage Vortrag halten könne. Seine 
Majestät erwiderte mir sofort telegraphisch: „Herzlichen Dank, ich bin 
wie neugeboren.“ 
Es stand mir nun noch die delikate Aufgabe bevor, die Björkö-Episode 
so abzuwickeln, daß sie beim Kaiser Nikolaus keinen tieferen Stachel 
zurückließ. Kaiser Wilhelm hielt längere Zeit an der Illusion fest, daß der 
Zar dem ihm in Björkö a la hussarde aufgenötigten Vertrage treubleiben 
werde. Er hat noch im September dem Zaren vorgeschlagen, er möge seine 
Vertreter im Ausland anweisen, in allen Fragen gemeinsamer Politik mit 
ihren deutschen Kollegen zusammenzugehen und zu diesem Zweck ihre 
deutschen Kollegen über ihre Instruktionen und Ideen zu unterrichten. Als 
aber Lambsdorff den russischen Botschafter in Berlin anwies, mir ver- 
traulich mitzuteilen, der Zar fühle sich durch dringende Gründe bestimmt, 
von der in Björkö getroffenen Abmachung zurückzutreten, mußte 
Wilhelm II. erkennen, daß sich durch einen Handstreich in wenigen 
Stunden eine seit fünfzehn Jahren bestehende Machtgruppierung nicht 
ändern läßt. Graf Osten-Sacken hatte mir übrigens auf ausdrücklichen 
Befehl des Kaisers Nikolaus und im Auftrag des Grafen Lambsdorff mit- 
geteilt, daß beide zu mir nicht nur volles Vertrauen bätten, sonderu daß 
es auch der aufrichtige und lebhafte Wunsch des Zaren wie des St. Peters- 
burger Kabinetts wäre, mit dem deutschen Nachbar nach wie vor die 
friedlichen, freundschaftlichen und sicheren Beziehungen fortzusetzen, die 
seit hundertundfünfzig Jahren zwischen Rußland und Preußen-Deutsch- 
land bestünden. Kaiser Wilhelm richtete unter meiner Mitwirkung, die er 
bei seinen Briefen an den Zaren während einiger Zeit unter dem einen oder 
dem anderen Vorwand umgangen hatte, im Dezember 1905 ein würdiges 
Schreiben an Kaiser Nikolaus, in dem er dem russischen Herrscher sagte, 
es wäre nicht seine Absicht, ihm eine Lösung aufzudrängen, die Rußland
	        
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