164 DEUTSCHE DIPLOMATEN
überwog jede andere Rücksicht der brennende Wunsch, die Zeit, wo sie in
der Nähe Seiner Majestät weilen durften, zu benutzen, um, wie Fürst
Bismarck dies nannte, die eigene Matratze zu stopfen, d.h. die eigene
Karriere zu fördern. Ganz frei von einer solchen Tendenz war als Begleiter
des Kaisers der spätere Botschafter in London, Graf Paul Metternich, ge-
wesen. Er hat nie einen Finger gerührt, um den damaligen Botschafter in
London, Grafen Paul Hatzfeldt, zu verdrängen, obschon er selbst sich für
London hervorragend eignete und obwohl Hatzfeldt durch seinen traurigen
Gesundheitszustand die Möglichkeit bot, ihn zu „demolieren‘“, wie der
diplomatische Terminus technicus lautet. Holstein und Kiderlen hatten
gewiß ihre großen Fehler, aber im Gegensatz zu Tschirschky, Schön,
Flotow, Jagow e tutti quanti war der rein politische Betätigungsdrang bei
ihnen stärker ausgebildet als die persönliche Ambition. Ein anderer Fehler,
der mir in den Berichten unserer Auslandsvertreter nur zu oft entgegentrat,
war die Neigung, fremde Länder, fremde Zustände, ausländische führende
Persönlichkeiten mit übertriebener Schärfe zu kritisieren und vor allem sie
mit mehr Behagen als Witz zu ironisieren. Auch diese Unsitte war im
letzten Ende auf Schwächen Seiner Majestät zurückzuführen. Die Bericht-
erstatter wußten, daß dem hohen Herrn ein gewisses überhebendes Her-
untermachen alles Ausländischen, ein gewisser, sit venia verbo, naßforscher
Ton nicht mißfielen und daß er insbesondere gern über schlechte Witze
lachte, namentlich wenn sie ihm unsympathischen Fürstlichkeiten,
Ministern oder gar Parlamentariern galten. Ich sah mich deshalb am
20. Mai 1905 veranlaßt, an unsere Missionen das nachstehende Zirkular zu
richten:
„Ein mir vorliegender Bericht gibt mir Anlaß zu der Bemerkung, daß
eine einseitige Kritik über das öffentliche Leben fremder Staaten ein
Fehler ist, in den unsere Diplomaten zu meinem Bedauern zu häufig ver-
fallen. Negierende Kritik ist ohne praktischen Wert. Bei den Kaiserlichen
Vertretern im Auslande kommt es auf positive Tätigkeit an. Manche
Beamte des auswärtigen Dienstes anderer Länder zeigen, was mit ziel-
bewußter, vorurteilsloser und intensiver positiver Arbeit zu erreichen ist.
Auch wir müssen bemüht sein, aus den Verhältnissen, wie sie nun einmal
gegeben sind, den möglichsten Nutzen für uns zu ziehen. So hat, um nur ein
Beispiel anzuführen, der deutsche Export die Aufgabe, sich den Gewohn-
heiten und Wünschen der fremden Einfuhrländer anzupassen, ohne Ver-
such, unseren Geschmack dort aufzudrängen. Häufige Reisen im Lande,
persönliche Betätigung an Ort und Stelle und reger Verkehr gerade mit
inländischen Kreisen werden dazu beitragen, daß die Kaiserlichen Ver-
treter für die besonderen Verhältnisse der Fremde ‚Verständnis erwerben.
Sie müssen dabei abweichenden Anscl gen und Gebräuchen unbefangen