Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

XI KAPITEL 
Die Frage der Nachfolge des Generalstabachefs Grafen Schlieffen - Bülows Unterredung 
mit General Hellmuth von Moltke, wührend sie auf dem Berliner Hippodrom um den 
Wasserturm reiten « Graf Hülsen, Chef des Militürkabinetts, zu dieser Frage « Der Kaiser 
besteht auf der Wahl Moltkes « Erbprinz von Hohenlohe-Langenburg Kolonial- 
direktor -« Erstes Auftreten Erzbergers » Die Verstimmung zwischen Wilhelm II. und 
Eduard VII. macht sich immer füblbarer « Brief Wilhelms II. über seine Unterredung 
mit dem englischen Finanzier Beit (30. Dezember 1905) 
A: einem schönen Herbsttage des Jahres 1905 begegnete ich bei meinem 
Schlieffens gewohnten Morgenritt auf dem Berliner Hippodrom dem mir seit Jahren 
Rücktrit befreundeten Generaladjutanten IIellmuth Moltke. Der sorgenvolle Aus- 
druck seines Gesichts fiel mir auf. Nachdem wir eine Zeitlang nebenein- 
ander galoppiert hatten, meinte Moltke, er möchte eine ernste Angelegen- 
heit in Ruhe mit mir besprechen, zu welchem Zwecke es wohl ratsam sei, 
sich in Schritt zu setzen. Wir lenkten nun unsere Pferde nach dem soge- 
nannten Wasserturm, nicht weit vom Eingang zum Hippodrom. Während 
wir im Schritt immer wieder um diesen Turm ritten, sagte mir Moltke, 
der Kaiser habe sich entschlossen, den derzeitigen Chef des Großen General- 
stabes in den Ruhestand treten zu lassen. Seine Majestät zolle der Genialität 
des Grafen Schlieffen volle Anerkennung, fände ihn aber mit dreiund- 
siebzig Jahren zu alt für diesen nicht nur große Arbeitskraft, sondern auch 
unveriminderte körperliche Rüstigkeit verlangenden Posten. Übrigens 
wolle Graf Schlieffen selbst gehen. Moltke fuhr fort: „Nun will der Kaiser 
partout mich als Nachfolger haben. Dagegen sträubt sich alles in mir.“ 
In ruhiger, klarer Weise entwickelte Moltke, daß er sich nicht kleiner machen 
wolle, als er sei. Er würde das Arbeitspensum des Generalstabschefs ge- 
wissenbaft und, wie er annehme, gut erledigen. Er würde sich auch nicht 
einen Augenblick besinnen, Seiner Majestät zu sagen, daß die bisherige 
„Manöverspielerei aufhören müsse“, über die viele und begründete Klagen 
laut würden. Er habe endlich schon als junger Offizier beim Sturm auf 
Saint-Privat vor der Front des Alexander-Regiments bewiesen, daß es ihm 
nicht an Mut feble. Aber eine innere Stimme sage ihm, daß er für die Auf- 
gabe, die der Chef des Generalstabs im Kriege zu erfüllen habe, nicht der 
richtige Mann sei. In der bei ihm gewohnten schlichten Art und mit edler
	        
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