Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

XII KAPITEL 
Aufgeregter Brief Wilhelms II. vom Silvesterabend 1905 » Seine Furcht vor Krieg 
Die Konferenz von Algeciras - Herr von Radowitz und Graf Tattenbach » Graf Metter- 
nich über die Lage von Algeciras - Die Neuwahlen in England Januar 1906 - Niederlage 
der Unionisten, ihre Bedeutung für die Entspannung in den deutsch-englischen Be- 
ziehungen » Weitere Nachrichten aus St. Petereburg « Graf Udo Stolberg zur Marokko- 
Politik « Rede Wilhelms II. bei der Paroleausgube (l. Januar 1906) » Großherzog 
Friedrich von Baden an Wilhelm II. - Bülows Unterredung mit dem Kaiser 
D; Widersprüche, das Sprunghafte im Wesen Wilbelms II. kamen nicht 
nur in seinen Reden und Gesprächen, sondern auch in seiner Korre- 
spondenz zum Ausdruck. In seinem Vorwort zu meinen Denkwürdigkeiten 
wird der Herr Herausgeber feststellen, daß ich nur wenige eigenhändige 
Briefe Wilbelms II. besitze, da ich nach meinem Rücktritt unaufgefordert 
alles, was der Kaiser an mich geschrieben hatte (Briefe, Telegramme, lose 
Zettel) dem Chef des Geheimen Zivilkabinetts, Herrn von Valentini, aus 
freien Stücken zurückgegeben hatte. Vom Inhalt nur weniger Piecen habe 
ich mir seinerzeit als Gedächtnisstütze Aufzeichnungen gemacht. Andere 
sind zufällig unter meinen Papieren geblieben. Unter ihnen befindet sich 
der Brief, den Wilhelm II. vierundzwanzig Stunden nach seiner Unter- 
redung mit Beit am Silvesterabend 1905 an mich richtete. Jeder unpartei- 
ische Leser wird zugeben, daß der Kaiser, von einigen etwas forcierten 
Ausdrücken abgesehen, diese Unterredung nicht nur mit glänzender 
Schlagfertigkeit, sondern auch geschickt und verständig, daß er sie vor 
allem mit Würde geführt hatte. Aber leider wechselten bei Wilhelm II. 
die Stimmungen rascher als das Wetter im April oder die Farbe des 
Chamäleons. Es hat wenige Monarchen gegeben, die so notwendig wie er 
einen kaltblütigen, vorsichtigen, vor allem einen mutigen Berater 
brauchten. 
In dem erwähnten Silvesterbrief schrieb mir derselbe hohe Herr, der in 
der Unterredung mit Beit so gut abgeschnitten und in seinem Bericht 
darüber sich als Mann von Common sense gezeigt hatte, er habe beim 
Jahresschluß sich die Weltlage durch den Kopf gehen lassen unter dem 
wiederangezündeten Tannenbaum. Er wolle keinen Krieg, bevor wir nicht 
ein festes Bündnis mit der Türkei geschlossen hätten. Eine Allianz mit dem 
Silvesterbrief 
Wilhelms II.
	        
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