Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

ALGECIRAS 199 
Am 16. Januar 1906 wurde die Marokko-Konferenz in Algeciras er- 
öffnet, ciner in der Provinz Cadiz, nicht weit von Gibraltar, gegenüber von 
Ceuta gelegenen kleinen spanischen Hafenstadt. Hier hatte 105 Jahre früher 
eine französisch-spanische Flotte die Engländer besiegt, einige Tage später 
hatten die letzteren eine eklatante Revanche genommen. Jetzt traten hier 
die beiden Westmächte eng verbunden auf, und Spanien bemühte sich um 
eine Verständigung zwischen ihnen und uns. Vertreten waren auf der 
Konferenz außer Deutschland, Frankreich, England, Rußland, Italien, 
Österreich-Ungarn und Spanien die Vereinigten Staaten, die Niederlande, 
Schweden, Belgien, Portugal und natürlich auch der Maghreb el Aksa, das 
Reich des Scherifse, Marokko. Ich war mir, als wir nach Algeciras gingen, 
nicht im Zweifel darüber, daß wir dort diplomatisch einen harten Stand 
haben würden. Rußland war seit fünfzehn Jahren der Verbündete von 
Frankreich, England durch den Vertrag vom 8. April 1904 in der Marokko- 
Frage an Frankreich gebunden. Italien befand sich, wie sein Minister des 
Äußern, der Marquis Guicciardini, im Italienischen Senat ausführte, in 
einer besonders delikaten Lage, denn die Konferenz solle eine Streitfrage 
regeln zwischen einer Macht, mit der Italien verbündet wäre, und einer 
anderen Macht, mit der es vor Jahren ein Sonderabkommen über die das 
Mittelmeer betreffenden afrikanischen Fragen abgeschlossen habe. Schon 
im Mai 1905 hatte der damalige italienische Minister des Äußern, Tittoni, 
in der Italienischen Kammer erklärt, daß sich Italien in Tripolis von allen 
Mächten gewisse Vorrechte habe garantieren lassen. Italien beabsichtige, 
sich dieser Vorzugsrechte durch eine Besetzung von Tripolis jedoch nur 
dann zu bedienen, wenn die Umstände dies ganz unerläßlich machen sollten. 
An die tatsächliche Besetzung von Tripolis dürfe Italien nicht denken, so- 
lange es mit der Türkei in freundschaftlichen Beziehungen stehe, da es 
durch ein solches Vorgehen diejenigen ermutigen würde, die das Ende der 
Türkei beschleunigen wollten, deren Integrität eine der Grundlagen der 
auswärtigen Politik Italiens bilde. Diese Erklärung des Herrn Tittoni hatte 
die Zustimmung der ganzen Kammer gefunden. In der Tat hat sich Italien 
zu einem Vorgehen in Tripolis erst 1911 entschlossen, als kein Zweifel mehr 
darüber bestehen konnte, daß Deutschland durch den zwischen Kiderlen 
und Jules Cambon abgeschlossenen Kongo-Vertrag Marokko völlig den 
Franzosen preisgegeben hatte. In Algeciras war 1906 von Italien nach Lage 
der Dinge eine vorsichtig lavierende und ausgleichende Haltung zu erwarten, 
die es mit keinem der Streitenden ganz verdarb, eine Taktik, die übrigens 
den bewährten Traditionen der italienischen Diplomatie entsprach, die 
sich immer durch die Gabe ausgezeichnet hat, sich möglichst jeder Lage 
anzupassen und sich immer eine Tür offenzulassen. Diese Taktik hat es 
später der Kurie ermöglicht, das Gewitter des Weltkriegs ohne Schädigung 
Eröffnung 
der Marokko- 
Konferenz
	        
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