EIN FOYERGESPRÄCH 207
Wahrscheinlichkeit nach zu einem Weltkriege führen würde. Ebenso fest
stand für mich, daß die Aufrechterhaltung eines würdigen Friedens in der
Gegenwart und für die Zukunft nicht nur im deutschen Interesse läge,
sondern eine Lebensfrage für unser Volk wäre. Kaiser Wilhelm teilte sach-
lich durchaus diese meine Auffassung, erschwerte mir aber meine Aufgabe
bald durch unvorsichtiges Reden und Agieren auf der Weltbühne, dann
wieder, indem er, wie ich schon einmal sagte, bei Krisen in der auswärtigen
Politik seine Kriegsfurcht gar zu offenherzig an den Tag legte. Aus Paris
hörte ich durch einen dortigen Agent de change deutschen Ursprungs,
von dem ich bisweilen gute Nachrichten erhielt, daß König Eduard nach
wie vor allen Franzosen gegenüber in allen Tönen über seinen kaiserlichen
Neffen schimpfe und insbesondere immer wiederhole: „Croyez-moi, dans
l’affaire marocaine il ne bougera pas. Il rentrera dans son coin.““ Auch in
deutschen parlamentarischen. Kreisen wurde die Lage zum Teil mit unbe-
gründeter Besorgnis betrachtet. Es berührt eigentümlich, daß dieselben
Parlamentarier und dieselbe deutsche öffentliche Meinung, die während der
Algeciras-Konferenz, ebenso vier Jahre später während der bosnischen
Krisis mit übertriebener Nervosität den Krieg für unvermeidlich hielten,
im Sommer 1914 nicht sahen und nicht erkannten, daß der Kriegswolf
wirklich vor der Tür stand.
Zur Illustrierung des hyperkritischen Geistes, der in Deutschland in
weiten und ernsten Kreisen an die Konferenz von Algeciras gewendet
wurde, möge die nachstehende kleine Episode dienen. Mein Pressechef,
Geheimrat Dr. Hammann, der in der Behandlung der öffentlichen
Meinung und ihrer journalistischen Vertreter nicht immer geschickt,
bisweilen geschmacklos war, aber überall horchte und herumschnüffelte
und einen guten Detektiv abgegeben haben würde, meldete mir: „Foyer-
gespräch. Graf Udo Stolberg: ‚Mir wird unsere Marokkopolitik immer
unverständlicher. Es wäre doch unerhört, wenn wir wegen der Jesuiten
einen Krieg mit Frankreich führen sollten!‘ — ‚Wieso?‘ — ‚Na, das ist
doch klar. Wir sollen für den Papst Rache an der antiklerikalen französi-
schen Republik nehmen.‘ — ‚Ernst oder Spaß?‘ — ‚Voller Ernst. Sieht
man doch jeden Sonntag die Fürstin Bülow mit dem Prinzen Arenberg
zur Messe gehen.‘ — Moral: Was soll man von parteiverrannten Zeitungs-
schreibern erwarten, wenn ehemalige Oberpräsidenten im Auswärtigen
solche Kinder sind?“ — So weit Dr. Hammann. Graf Udo Stolberg,
früher Oberpräsident in Königsberg, einer der Führer der Konserva-
tiven, ein persönlicher Freund von mir, war im übrigen ein ganz ver-
ständiger Mann.
Am Abend des Neujahrstages 1906 hatte sich in Berlin das Gerücht ver-
breitet, der Kaiser habe bei Gelegenheit der Ausgabe der großen Parole