FLOTTE UND ARMEE 229
Akademie führte den Spitznamen „Schlosserakademie“. Solche Wahr-
nehmungen, Erwägungen und Sorgen veranlaßten mich, von dem sonst
festgehaltenen Grundsatz der Nichteinmischung in militärische Angelegen-
heiten in diesem Fall abzusehen.
Ich hatte noch einen besonderen Grund zu meinen Vorstellungen beim
Kriegsminister wie beim Chef des Generaletabs. Ich hatte den Ausbau
unserer Flotte im preußischen Staatsministerium wie im Bundesrat eifrig
gefördert. Ich hatte im Reichstag und im Lande mit Erfulg Stimmung für
die Marine gemacht. Niemand hat das wärmer und lebhafter anerkannt als
Tirpitz während und nach meiner Amtszeit. Aber ich verkannte nicht die
Gefahr, daß bei der starken Persönlichkeit von Tirpitz und seiner rastlosen
Energie, die naturgemäß mit einer gewissen Einseitigkeit verbunden war,
gegenüber der Flotte die Armee zu kurz kommen könnte. Auch deshalb
babe ich mich vom ersten bis zum letzten Tage meiner Amtsführung gegen-
über dem Kriegsministerium bereit erklärt, jede notwendige und nützliche
militärische Forderung jederzeit vor dem Reichstag und vor dem Lande zu
vertreten, und zwar usque ad effusionem sanguinis, d. h. in diesem Falle bis
zur Reichstagsauflösung mit allen ihren Konsequenzen. Die felsenfeste
Überzeugung, daß auf den Schultern der Armee im letzten Ende der Be-
stand des Reichs und die Zukunft des deutschen Volks und des Deutsch-
tums beruhten, war es, die mich veranlaßte, gegenüber Kriegsminister und
Generalstab auf gewisse Vorurteile und Selbsttäuschungen hinzuweisen,
die bei so vielen leuchtenden Vorzügen unserem Heer, richtiger gesagt dem
preußischen militärischen Denken, eigentümlich waren.
Einige Tage nachdem ich dem Kriegsminister geschrieben hatte, richtete
ich an meinen Bruder Alfred, der nach kurzem Zusammensein mit mir in Bülow an
Norderney bei seiner Schwiegermutter, der Gräfin Dillen-Spiering, auf seinen Bruder
ihrem Schloß Dätzingen, im Herzen Schwabens, im Oberamt Böblingen, Alfred
weilte, den nachstehenden Brief, in dem ich Stellung zu der exzessiven
Kritik nahm, die von alldeutscher Seite an der Algeciras-Akte geübt
wurde:
„Liebster Alfred, vor allem möchte ich Dir sagen, wie sehr ich mich über
Deinen Besuch gefreut habe. Unsere schönen Spaziergänge am Meer und
am Watt, unser Gedankenaustausch über so manche Fragen und Probleme
haben mir wohlgetan. Mit wem könnte ich offener reden als mit meinem
fast gleichaltrigen Bruder? Seit des armen Adolf zu frühem Tode bisı Du ja
der einzige, mit dem mich Erinnerungen seit unserer Kindheit verbinden.
Es war mir eine Genugtuung, daß auch Du der Ansicht bist, wir hätten in
Algeciras erreicht, was vernünftigerweise zu verlangen und zu erlangen war.
Gewiß hätten wir, wenn S. M. nicht zum Schluß nervös geworden wäre, in
einer Reihe von Einzelpunkten noch mehr erreichen können. Aber wir haben