Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DIE BERUFUNG AUF BISMARCK 231 
Es kommt nur darauf an, die eine wie die andere Eigenschaft im richtigen 
Moment zur Anwendung zu bringen. Ein konsequent überheblicher und 
rücksichtsloser, chauvinistischer Ton, knotige Manieren, ungestüme An- 
remplungen des Auslandes, wie wir sie leider nur allzu häufig in einem Teil 
unserer Presse erleben, wirken schädlich. Es würde unberechenbare Kon- 
sequenzen nach sich ziehen, wenn ich in meiner verantwortlichen Stellung 
einen solchen Ton anschlüge. Ich denke also auch weiterhin festzuhalten 
an dem Motto, das auf einem alten Bülowschen Familienstammbuch von 
1650 steht: 
Der ist nicht flugs ein Edelmann, 
Der geboren ist aus großem Stamm 
Oder der Geld und Reichtum hat 
Und tut duch keine redliche Tat. 
Die Tugend und die Höflichkeit 
Adelt den Menschen allezeit. 
Wenn die Alldeutschen sich auf den Fürsten Bismarck berufen, so zeigt 
ein eingehenderes Studium der Reden und Handlungen dieses größten 
deutschen Staatsmannes, daß dessen Force nicht in sporenklirrenden 
Kürassierstiefeln noch im rasselnden Pallasch bestand, sondern im rechten 
Augenmaß für Menschen und Dinge. Ein Minister, hat Bismarck einmal 
im Reichstag gesagt — oder war es im Preußischen Abgeordnetenhaus? — 
könne den Strom der Zeit nicht hervorrufen, könne ihn nicht einmal lenken. 
Er könne das Staatsschiff nur steuern nach seiner Ansicht und Überzeugung. 
Steuere er es mit Glück, so habe er seinem Lande gut gedient, steuere er 
es mit Ungeschick, so verfalle er der Vergessenheit. Die Bestrebungen des 
Alldeutschen Verbandes haben das Gute, daß sie das Nationalgefühl wach- 
zuerhalten suchen, indem sie dem Hang des deutschen Philisters zu ver- 
schwommenem Kosmopolitismus und zu beschränkter Kirchturmspolitik 
entgegenwirken. Aber für die praktische Führung der Politik kommt es 
noch mehr auf den Kopf als auf Wärme und Güte des Herzens an, davon 
würde sich selbst der gute Professor Hasse überzeugen, wenn er an meiner 
Stelle stünde. Mein Nationalgefühl ist mindestens ebenso empfindlich und 
ebenso lebendig wie das des gesinnungstüchtigsten Alldeutschen. Aber mein 
Patriotismus ist verbunden mit einem größeren Maß von Selbstbeherr- 
schung und Vorsicht, von Mäßigung und Überlegung. Ich besitze eine 
genauere Kenntnis der Verhältnisse als diese guten Leute und schlechten 
Musikanten, eine Kenntnis, die mich in den Stand setzt, Gefahren zu 
erkennen, die sie nicht sehen, und die mich verhindert, mich subjektiven 
Empfindungen widerstandslos hinzugeben. Ich kann besser als sie über- 
sehen, welche Folgen eine impuleive Politik für das Land haben würde.
	        
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