Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

232 DIE POLITIK DER KÜRASSIERSTIEFEL 
Und deshalb und weil ich die Verantwortung trage für den Gang der Dinge, 
wende ich mich im Reichstag und am Hofe gegen Bestrebungen und Ten- 
denzen, welche dieses Moment der Verantwortlichkeit nicht genügend 
würdigen. Ich wende mich dagegen, daß bei Angelegenheiten, die eine sehr 
behutsame Hand und einen klaren Kopf verlangen, uns jene berühmte Po- 
litik der Kürassierstiefel empfohlen wird, die Fürst Bismarck nie am un- 
rechten Ort angewandt hat. Wenn man mir immer wieder vom „National- 
stolz‘ redet, so meine ich, der wahre Nationalstolz besteht darin, stets und 
unter allen Umständen das wirkliche und dauernde Interesse des Landes 
im Auge zu behalten. Wohin eine romantisch-sentimentale Politik führt, 
das haben wir beim zweiten Empire, bei Napoleon IIl. geschen. Der war 
weder unedel noch unbegabt, und doch ging er schließlich kopfüber. Ich 
möchte nicht, daß auch wir mit einer großen Dummheit endigten. 
Du erzähltest mir, daß viele Leute, auch bei Hofe und selbst im Aus- 
wärtigen Amt, meinten, ich ließe es an der nötigen Entschiedenbeit fehlen. 
Ich glaube seit Jahr und Tag in China und in Marokko, in Polynesien und 
in Südamerika, in Venezuela und in Haiti, von den deutschen Gläubigern 
Griechenlands zu schweigen, bewiesen zu haben, daß ich es mit der Ver- 
tretung unserer Rechte und Interessen im Auslande sehr ernst nehme. Oder 
habe ich es etwa bei den Zwischenfällen, die stattfanden, seitdem ich die 
auswärtige Politik leite, also z. B. im Frühjahr 1899, als sich die Samoa- 
Frage zu einer akuten Krisis zuspitzte, oder im Januar 1900, als deutsche 
Postdampfer in brutaler Weise von England mit Beschlag belegt wurden, 
an der nötigen Festigkeit fehlen lassen ? Gegenüber diesen Zwischenfällen 
hatten wir die Wahl zwischen drei Wegen. Entweder konnten wir den 
Krieg erklären. Gewiß!! Entweder haben die alldeutschen Klagen über 
meine angebliche Nachgiebigkeit bei diesen und ähnlichen Zwischenfällen 
gar keinen Sinn, oder sie involvieren einen Tadel darüber, daß wir damals 
nicht an die Ultima ratio regum appelliert haben. In der auswärtigen Politik 
muß man der Konsequenz dessen, was man sagt und rät und tadelt, klar 
und rechtzeitig ins Auge sehen. Da ist mit Halbheiten, mit Unklarheiten, 
mit allgemeinen Hochgefühlen nicht gedient. Also ich sage, der eine Weg 
war, daß wir den Krieg erklärten. Ich weiß nicht, ob selbst Hasse und Lie- 
bermann von Sonnenberg und Jordan Kröcher, der auch in mir den ‚star- 
ken Mann‘ vermißt, wirklich bedauern, daß ich nicht den Kriegspfad be- 
schritten habe. Ich weiß namentlich nicht, ob selbst diese Herren diesen 
Weg eingeschlagen haben würden, wenn sie an verantwortlicher Stelle 
stünden. Ich bezweifele das. Dazu habe ich trotz allem doch eine zu 
günstige Meinung von ihrem Patriotismus. Wenn wir angegriffen werden 
sollten, von wem es auch sei, und wenn wirkliche deutsche Lebens- 
interessen, die Sicherheit und die Ehre unseres Landes wirklich verletzt
	        
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