Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DIE MONARCHIE 241 
der westlichen Staaten den Völkern ad oculos demonstriert. Das konstitu- 
tionelle und liberale England steht glänzend da, vor der amerikanischen 
Republik öffnen sich gewaltige Zukunftsmöglichkeiten. Die von Sozialisten 
mitregierte Französische Republik genießt allgemeine Sympathien, und alle 
Könige geben sich in ihrer Hauptstadt Stelldichein. Auch in dem parla- 
mentarisch regierten Italien sieht es lange nicht so schlimm aus, wie manch- 
mal behauptet wird. Demokratische kleine Länder, wie Dänemark, Belgien, 
Holland, Norwegen, erfreuen sich im Innern großer Blüte, während in der 
jahrhundertjährigen Hochburg monarchischer und konservativer Grund- 
sätze, in der altehrwürdigen habsburgischen Monarchie alles aus dem Leim 
geht und in Rußland, das der unzerstörbare Hort streng autokratischer, 
militärischer und orthodoxer Grundsätze schien, Fundamente, Giebel und 
Balken wackeln.“ Auch für einen mächtigen und starken Monarchen werde 
durch diese Entwicklung die Situation erschwert. Ich betrachtete diese 
nach wie vor nicht pessimistisch, aber nur unter der Voraussetzung, daß 
wir in unserer inneren Pulitik Festigkeit mit Umsicht und Vorsicht ver- 
bänden, mit einem Wort: unerschrocken, aber ruhig und insbesondere ver- 
nünftig operierten. „Wer die Entwicklung der letzten hundert Jahre ge- 
wissermaßen ä vol d’oiseau überschaut, wird wieder in der alten Überzeu- 
gung bestärkt, daß die irdischen Dinge sich nicht in gerader Linie, sondern 
in Oszillationen oder wie Ebbe und Flut fortbilden. Die große französische 
Revolution bedeutete einen ungeheuren Ruck nach vorwärts für die demo- 
kratischen Ideen und Ideale. Nach der Niederwerfung von Napoleon, der 
einerseits der größte Soldat seiner Zeit, andererseits der Erbe der Revo- 
lution war, versuchten die wiederhergestellten alten Monarchien den 
Status quo ante 1789 wiederaufzurichten, allerdings mehr mit reinen 
Prinzipien als mit Vernunft und Geschicklichkeit. Schon 1830 kam der erste 
Rückschlag, 1848 der zweite und stärkere. Dann kam mit und durch Bis- 
marck der ungeheure Umschwung von 1866 und 1870. Seitdem war die 
Ansicht verbreitet, daß eine starke Monarchie mit tüchtigen Ministern mehr 
Wert hätte als liberale Institutionen, demokratische Tendenzen und parla- 
mentarische Spielereien. Der gute alte Herr an der Donau und der liebens- 
würdige junge Herr an der Newa haben es durch eine Kette von Fehlern, 
Versäumnissen und Übereilungen fertigbekommen, daß jetzt wieder viel- 
fach geglaubt wird, das Heil läge doch mehr links als rechts.“ Darin sähe 
ich so lange keine Gefahr, als wir im Innern mit Vernunft und Ruhe, 
nach außen mit Ruhe und Geschicklichkeit regierten. Da ich die Vorliebe 
Seiner Majestät für lateinische Zitate kannte, so schloß ich mit der War- 
nung, die in einer seiner besten Oden der kluge Quintus Horatius Flaccus 
der Kalliope zuruft: 
Vis consilii expers mole ruit sual 
16 Bülow II
	        
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