DER WELLENBRECHER 265
Pflichtgefühls gegenüber Krone und Land sei und in das Gebiet der politi-
schen Imponderabilien gehöre, wie weit ein Minister das persönliche Her-
vortreten, die Meinungs- und Gefühlsäußerungen des Monarchen mit seiner
Verantwortlichkeit decken wolle, und fügte hinzu: „Ich kann mir sehr
wohl denken, daß ein Minister finden kann, daß ein übertriebenes persön-
liches Hervortreten des Regenten, daß ein zu weit getriebener monarchi-
scher Subjektivismus, ein zu häufiges Erscheinen des Monarchen ohne die
ministeriellen Bekleidungsstücke, von denen die Weisheit des Fürsten
Bismarck sprach, dem monarchischen Interesse nicht zuträglich ist und
daß er dafür die Verantwortung vor Land und Geschichte nicht über-
nehmen kann.“
Als ich, nicht lange nach dieser Rede, mit dem Zentrum gebrochen hatte,
tauchte in Zentrumsblättern die Behauptung auf, ich hätte die Interpella-
tion Bassermann mit diesem verabredet und ihn zu seinen Bemerkungen
über das persönliche Regiment veranlaßt. An dieser Behauptung war kein
wahres Wort. Ich hatte vor der Debatte vom 14. November weder direkt
noch indirekt irgendwelche Rücksprache mit Bassermann genommen, ihn
überhaupt nicht gesehen. Charakteristisch für deutsche parlamentarische
Verhältnisse war, daß mir der Pressechef Hammann am 15. November
nach einer Unterredung mit dem Vertreter der „Frankfurter Zeitung‘,
August Stein, schrieb, daß dessen „Kritizismus‘‘ durch meine gestrigen
Reden zum Schweigen gebracht worden wäre, daß er sich aber als über-
zeugter Demokrat ärgere über den „weiten Abstand zwischen dieser glän-
zenden Leistung und den hilflosen Reden aus dem Hause“. Aber nicht nur
August Stein hatte sich über meine Rede geärgert, sondern auch Kaiser
Wilhelm II., der den ihm vorgelegten Parlamentsbericht über die Sitzung
vom 14. November mit mißtrauischen und gereizten Randvermerken ver-
sah. Ich antwortete ihm, daß ich, indem ich mich gegenüber den vielen
während der letzten Wochen gegen das Oberhaupt des Reichs gerichteten
Kritiken und Angriffen zum Wellenbrecher machte, diese Angriffe aufmich
abgelenkt und dadurch zweifellos die Stimmung im Lande gebessert habe.
Ich würde mich auch weiter, wie es meine Pflicht wäre, vor den Thron
stellen und, soweit ich es vermöchte, Unerfreuliches und Schädliches von
Seiner Majestät abhalten. Ich fügte aber hinzu: „Was die bestehende Ver-
stimmung betrifft, so würden auch die geschicktesten Presseintrigen sie
nicht haben hervorrufen können, wie Eure Majestät dies annehmen, wenn
ihr nicht noch anderes zugrunde läge. Die große Mehrheit des deutschen
Volks ist monarchisch gesinnt. Auf dem letzten sozialdemokratischen
Parteitag war das Geständnis eines sozialdemokratischen Führers inter-
essant, daß von den 3 Millionen sozialistischer Wähler im Jahre 1903
höchstens 400000 organisierte, d. h. zielbewußte, Sozialdemokraten wären.
Randvermerke
des Kaisers