Bruch
zwischen
Eulenburg
und Holstein
290 WILHELM II. GEGEN CAMBON
ich persönlich seit über zwanzig Jahren kenne, habe mir offen und wieder-
holt dargelegt, daß es hinsichtlich der deutsch-französischen Beziehungen
darauf ankomme, nichts zu überstürzen. Übertriebene Avancen von unserer
Seite wären ebensowenig angebracht wie Drohungen und Brüskierungen.
Für intime Beziehungen mit Deutschland sei in Frankreich die öffentliche
Meinung noch nicht reif. Sie wolle aber ebensowenig oder vielmehr noch
viel weniger den Konflikt, sondern Ruhe, ohne „soubresauts“ in der einen
oder anderen Richtung. (Dazu schrieb der Kaiser an den Rand: „Der-
gleichen Frechheiten kann Cambon füglich für eich behalten! Wie Ich die
Gallier behandelt wissen will, ist Meine Sache und habe Ich in Kiel dazu
die nötigen ÖOrientierungen vorgenommen.) Ich berichtete im weiteren
Verlauf meines Schreibens, daß Cambon sich über Marokko verständig aus-
gesprochen hätte. Er habe betont, daß Frankreich sich auf dem Boden der
Algeciras-Akte halten wolle. Wenn einzelne Bestimmungen jener Akte in
einigen Jahren abgelaufen sein würden, so hätten Deutschland und Frank-
reich bis dahin Zeit, sich zu überlegen, was hinterher eintreten solle. In
Frankreich wisse man sehr gut, daß dies wesentlich davon abhängen werde,
wie sich die allgemeinen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich
inzwischen gestaltet haben würden. Trotz dieser ganz verständigen
Sprache des französischen Botschafters schrieb der Kaiser übellaunig und
vorschnell unter meine Meldung: „Cambon hat Ihnen absolut nichts Neues
oder Interessantes gebracht, zudem olle Kanıellen aufgewärmt. Über Ma-
rokko weiß er ebensowenig, was Frankreich eigentlich machen will, wie
Clemenceau oder sonst einer von der Regierungsbande. Seine Bemer-
kungen erheben sich über die flachste diplomatische Salonkonversation
nicht heraus.“ Was mich an diesen Allerhöchsten Bemerkungen störte,
war nicht sowohl die in ihnen zum Ausdruck gebrachte üble Laune, denn
sie pflegte rasch zu verlliegen. Was mich mit ernsterer Sorge erfüllte, war
die offensichtliche Tendenz des Kaisers, das Verhältnis zu Frankreich suo
modo zu behandeln, persönlich und nach eigenen Ideen und Impressionen,
also seinen eigenen Minister des Äußern zu spielen und damit eine Aufgabe
zu übernehmen, der er in keiner Weise gewachsen war.
Im politischen Leben ist es traurig, daß neben schönen, großen, er-
hebenden Momenten und Eindrücken immer wieder das Gemeine und
Niedrige sich bemerkbar macht. Während meiner Erkrankung hatten sich
Holstein und Philipp Eulenburg veruneinigt.
Wer der Unsterblichen reizte sie auf zu feindlichem Hader? fragt im
Eingang der Ilias der blinde Sänger die Muse, bevor er den Zwist des
Völkerfürsten Agamemnon mit dem mutigen Renner Achilleus schildert.
Bei dem morbiden Zug, der dem im übrigen so glänzend begabten Eulen-
burg eigen war, und da Holstein bei aller Verstandesschärfe nur zu oft ein