Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

302 LE BARON DE SCHOEN 
kein Botschafter, konnte aber in Wien weniger Schaden anrichten als in 
London, wohin ihn der Kaiser ursprünglich dirigieren wollte. Die Minder- 
wertigkeit des Baron de Schoen, wie sich der deutsche Staatssekretär auf 
seinen Visitenkarten nannte, die mir schon früher bisweilen Sorge bereitet 
batte, sollte in ihrem ganzen Umfange erst nach seiner Berufung an die 
Zentralstelle zutage treten. Ich weiß nicht, ob der berüchtigte Semi-Gotha 
recht hat, wenn er behauptet, Schön sei aus der „uralten Wormser Juden- 
gemeinde“ hervorgegangen, er gehöre sogar dem besonders geachteten 
jüdischen Stamm Isaschar (Schochem) an. Das mit der Familie Schön ver- 
wandte Haus Heyl zu Herrnsheim sei gleichfalls eine durch Leder reich 
gewordene Wormser Judenfamilie. Die jüdische Extraktion des Barons von 
Schön würde mich nicht gestört haben. Ich muß aber leider feststellen, daß 
ich bei ihm jene Arbeitslust und Arbeitskraft, die Klarheit und Schärfe 
des Verstandes, die geschäftliche Tüchtigkeit und den geschäftlichen Ernst 
vermißt habe, die mir bei vielen Israeliten entgegengetreten sind und die 
ihnen auch von ihren Gegnern nicht abgesprochen werden können. Frau 
von Schön, eine Belgierin, durch langen Aufenthalt im Seinebabel bedenk- 
lich verparisert, trug nicht dazu bei, die ohnedieg bescheidene dienstliche 
Brauchbarkeit ihres Gatten zu erhöhen. Der Kaiser war aber nicht dazu zu 
bewegen, Mühlberg oder Kiderlen als Staatssekretär zu akzeptieren. Bot- 
schafter in Petersburg wurde Graf Friedrich Pourtales, der dort mehrere 
Jahre Botschaftsrat gewesen war und das dortige Terrain kannte, auch in 
der Bismarckschen Zeit als Amanuensis von Herbert Einblick in die große 
Politik gewonnen hatte.
	        
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