Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

DIE DROHENDEN HARDEN-PROZESSE 305 
Am 9. November 1907 sollte das Kaiserpaar seine Reise nach England 
antreten. Die Alten glaubten, daß, wenn menschlichen Unternehmungen 
Gefahr und Unheil drohten, die Götter dies vorher durch Unglück ver- 
heißende Zeichen ankündigten. Dann flogen die Adler links statt rechts, 
oder die heiligen Hühner weigerten sich, das ihnen vorgeschüttete Futter zu 
fressen. Der Kaiserreise nach England ging ein im Geiste der antiken Denk- 
weise bedeutungsvolles Vorspiel voraus. Alle Vorbereitungen waren getrof- 
fen, als der Kaiser mich plötzlich ans Telephon rief, um mir mitzuteilen, 
daß er einen Unfall gehabt hätte. Er habe sich schwindlig gefühlt und auf 
ein Sofa ausgestreckt. Plötzlich wäre er, offenbar von einer kurzen Ohn- 
macht befallen, vom Sofa heruntergefallen. „Mein Kopf schlug so hart auf 
den Boden auf, daß meine Frau, von dem Lärm erschreckt, voll Angst 
hereinstürzte.‘“ Der Kaiser fügte hinzu, daß er bei so angegriffenem 
Gesundheitszustand unmöglich die ermüdende Reise nach England unter- 
nehmen könne und dies seinem Onkel, dem König, telegraphiert habe. 
Bald nachher erschien der Oberhofmarschall Graf August Eulenburg bei 
mir, um mir im Auftrag der Kaiserin zu sagen, daß der „Unfall“ nicht 
schlimm gewesen wäre. Die Ohnmacht und das Aufschlagen des Kopfes auf 
den Boden hätten nur in der Phantasie Seiner Majestät existiert. Mit der 
Bitte um strengste Diskretion erklärte mir Graf August Eulenburg den 
ganzen Vorgang damit, daß es dem Kaiser im Hinblick auf die Kampagne 
der Hardenschen „Zukunft“ gegen den Fürsten Eulenburg, den Grafen 
Kuno Moltke und andere Freunde Seiner Majestät und die drohenden 
Skandalprozesse peinlich sei, sich jetzt in England zu zeigen. Einige 
Stunden später kam, sehr bestürzt, der englische Botschafter zu mir. Er 
habe von seinem Souverän ein dringendes Telegramm erhalten, durch das 
ihm König Eduard mitteile, er habe vom Kaiser die Nachricht bekommen, 
daß dieser seine Reise nach England aufgebe. Ein so plötzlicher, ganz uner- 
klärlicher Entschluß würde politisch von bedenklichen Folgen sein und 
jedenfalls die in der letzten Zeit in erfreulicher Weise gebesserten deutsch- 
englischen Beziehungen nicht günstig beeinflussen. Der König bat um 
sofortige Aufklärung über den rätselhaften Entschluß des Kaisers. Ich ver- 
sprach dem Botschafter, daß ich Rücksprache mit Seiner Majestät nehmen 
würde. Er meinte, daß sich dies in der Tat empfehlen würde. „Das 
schlimmste ist nämlich‘, fuhr er fort, „daß ich vor einer Stunde im Tier- 
garten dem angeblich schwer erkrankten Kaiser begegnet bin, der sehr 
vergnügt, umgeben von einem Schwarm Adjutanten, die große Querallee 
herunterritt.‘“ Ich schrieb nun Seiner Majestät einen ernst gehaltenen 
Brief, in dem ich meinerseits um Aufklärung bat, nicht nur, um den eng- 
lischen Botschafter beruhigen zu können, sondern auch für meine eigene 
Beruhigung im Hinblick auf die deutsch-englischen Beziehungen. Der 
29 Billow II 
Abreise mit 
Hindernissen 
nach England
	        
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