Keine
Begegnung
mit Loubet
16 PLÖTZLICHER KURS AUF GENUA
Während der Kaiser das Mittelmeer befuhr, erfolgte der Besuch des
Präsidenten der Französischen Republik Loubet in Rom. Wilhelm II. hätte
gar zu gern eine Begegnung mit Loubet herbeigeführt. Er überlegte sich
eifrig das Zeremoniell des Zusammentreffene. Er bezeichnete es mir als un-
möglich, bei einem Besuch von Loubet an Bord eines deutschen Schiffes die
„Marseillaise‘‘ spielen zu lassen. „Das wäre gegen meine legitimistischen
Grundsätze‘, meinte der Kaiser. Dagegen wollte er dem Präsidenten den
französischen Armeemarsch „Sambre et Meuse‘“‘ konzedieren, obwohl
auch dieser Marsch die Bluttaufe der Revolution erhalten hatte. Ich sagte
dem Kaiser, daß er sich umsonst den Kopf zerbreche, denn Loubet würde
schwerlich den Mut haben, mit ihm zusammenzutreffen und dadurch alle
französischen Chauvinisten, Deroul&de und die Ligue des Patriotes vor den
Kopf zu stoßen. Das würde er gerade in dem Augenblick nicht wollen, wo
er bemüht wäre, unter Brüskierung des Papstes die Italiener einzufangen.
Der Kaiser hielt aber an seinem Plan mit der Hartnäckigkeit fest, die ihm
eigen war, wo es sich um persönliche Inspirationen handelte.
Er hatte ursprünglich die Absicht gehabt, vor Beendigung seiner Mittel-
meer-Reise Korfu anzulaufen, um dort mit seiner Schwester, der Kron-
prinzessin Sophie von Griechenland, zusammenzutreffen und sich gleich-
zeitig das Achilleion anzusehen, das schöne Schloß der Kaiserin Elisabeth
von Österreich, von dem er viel gehört hatte, das er zu besitzen wünschte
und später auch erworben hat. Plötzlich wurde, obne daß es mir nach Berlin
mitgeteilt worden wäre, der Kurs des Dampfers, der Seine Majestät trug,
geändert und statt auf Korfu und Venedig auf Genua genommen, in der
Hoffnung, unterwegs dem in denselben Tagen von Neapel nach Frankreich
zurückkehrenden Präsidenten Loubet zu begegnen, richtiger gesagt, um
ihn zwischen Neapel und Genua zu überfallen. Der Kaiserliche Botschafter
in Rom Graf Monts schrieb mir unter dem 3]. März 1904, daß Seine
Majestät an der Ausschiffung in Genua festhalte. Es hieß} in diesem Brief:
„Da der für Genua in Aussicht genommene Termin des 29. mit dem Termin
der Abreise des Präsidenten Loubet aus Neapel zusammenfällt, war von
italienischer Seite vertraulich angeregt worden, ob nicht eine Änderung des
Reiseprogramms Seiner Majestät zu ermöglichen wäre. Der Kaiser hatte
indes ein Parallelprogramm, in welchem Major von Chelius eine Aus-
schiffung in Triest in Vorschlag brachte, abgelehnt. Da gegen Schluß der
Reise ein Besuch des Adriatischen Meers, speziell der Insel Korfu in Aussicht
stebt, wird vermutlich italienischerseits in der Rückkehr in das Mittellän-
dische Meer zwecks Ausschiffung in Genua eine Absichtlichkeit gefunden
werden. Dieselbe würde in erster Linie auf den König Viktor Emanuel
verstimmend einwirken und den tatsächlich guten Verlauf der Neapler
Entrevue beeinträchtigen. Der italienische Hof würde nicht umhinkönnen,