Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Iswolski und 
Aehrenthal 
in Buchlau 
334 BOSNIEN GEGEN DARDANELLEN 
gefaßt zu werden, entschloß sich Gortschakow 1876, die österreichische 
Zustimmung zu dem russischen Vorgehen gegen die Türken durch Über- 
lassung von Bosnien und der Herzegowina an die habsburgische Monarchie 
zu erkaufen. Ich werde bei der Darstellung der dem Berliner Kongreß vor- 
ausgehenden Vorgänge diese Zusammenhänge eingehend erörtern. „I faut 
faire la part du feu‘“, so hatte der alte Kanzler seinem Souverän gegenüber 
diesen Schachzug motiviert. Als junger Botschaftssekretär in Wien erlebte 
ich die in der Ofener Königsburg abgeschlossene Konvention, durch die 
Gortschakow die Zeit und die Mittel der militärischen Okkupation Bosniens 
und der Herzegowina in die Wahl des Wiener Kabinetts stellte. Als Sckre- 
tär des Berliner Kongresses wurde ich Zeuge der Konsekration der Ofener 
Abmachung unter freudiger Zustimmung Rußlands durch den Berliner 
Vertrag (Artikel XXV des Berliner Vertrags): „Les provinces de Bosnie et 
d’Herzegovine seront occupees et administrees par l’Autriche-Hongrie.“ 
Seitdem waren wiederholt, schon während des Berliner Kongresses und 
sechs Jahre später in Skierniewice, mündlich und in der Form des Aide- 
Memoire zwischen Österreich-Ungarn und Rußland Erklärungen ausge- 
tauscht worden, wonach Rußland keine Einwendungen erheben würde, 
wenn Österreich im Interesse der Ruhe auf der Balkanhalbinsel wie zum 
Besten des europäischen Friedens die Okkupation in eine Annexion ver- 
wandeln sollte. Es war also an und für sich nicht auffällig, daß Iswolski, 
unmittelbar nach der Zusammenkunft von Reval, schriftlich dem öster- 
reichisch-ungarischen Minister des Äußern den Vorschlag machte, einer- 
seits über die Umwandlung der Okkupation in eine Annexion, andererseits 
über die Öffnung der Meerengen Unterhandlungen einzuleiten. Ver- 
wunderlich war freilich, daß Iswolski seinem Wiener Kollegen eine solche 
Offerte machte, obwohl ihn dieser kurz vorher mit dem österreichisch-tür- 
kischen Vertrag über den Bau der Sandschak-Bahn, d. h. des Mittelstücks 
zwischen der bosnischen und der mazedonischen Linie, überrascht hatte, 
eine Überrumplung, die nicht nur die russische öffentliche Meinung stark 
erregte, sondern auch zu gereizten Auseinandersetzungen zwischen den 
Kabinetten von St. Petersburg und Wien führte. 
Der Vorschlag Iswolskis ist wohl dadurch zu erklären, daß der ehrgeizige 
aber gleichzeitig unbesonnene russische Außenminister alles über dem 
brennenden Wunsch vergaß, durch die Realisierung der jahrhundert- 
alten russischen Wünsche und Aspirationen hinsichtlich der Dardanellen 
sich einen dauernden Platz in den Herzen aller guten Moskowiter wie in der 
russischen Geschichte zu erobern und gleichzeitig vielleicht auch den 
Grafentitel mit dem Andreasorden. Es kam noch hinzu, daß Aehrenthal, 
der fast seine ganze diplomatische Karriere in St. Petersburg gemacht hatte, 
als Attache, als Sekretär, dann als Botschaftsrat, schließlich als Botschafter,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.