AEHRENTHAL 335
die Russen genau zu kennen glaubte und jedenfalls in der St. Petersburger
Gesellschaft sehr populär war, wozu eine Liaison mit einer schönen Dame
der Petersburger Gesellschaft beigetragen hatte. Seine Stellung in den
Petersburger Salons war in der Tat stärker als die von Iswolski, auf den er
gesellschaftlich etwas herabsah. Er glaubte sich der Russen ganz sicher.
Daraus schöpfte er die Zuversicht, daß er mit Iswolski unter allen Um-
ständen fertig werden würde. „Je tiens les Russes dans ma poche“, sullte er
geäußert haben. Aehrenthal übersah, daß in der russischen Hauptstadt
allmählich neben wuhlbeleibten, ruheliebenden Generaladjutanten und
Ministern, geistreichen Frauen und charmanten Großfürstinnen eine rauhe
nationalistisch gefärbte Opposition emporgekommen war, die, Österreich
grundsätzlich feindlich, mit Eifersucht und Misstrauen über die slawischen
und orthodoxen „Brüderchen“ auf der Balkanhalbinsel wachte. Zunächst
erreichte Achrenthal, daß sein russischer Kollege Iswolski mit Freude die
Einladung annahm, mit ihm auf dem mährischen Schluß Buchlau des öster-
reichischen Botschafters in St. Petersburg, des Grafen Leopuld Berch-
told, des späteren so unglücklichen Ministers des Äußern, zusammen-
zutreffen. Graf, vor seinem Erfulg in der bosnischen Sache Freiherr von
Aehrenthal war der Enkel des israelitischen Getreidehändlers Lexa in Prag,
der im Anfang des 19. Jahrhunderts im Hinblick auf seinen lukrativen
Beruf unter dem prägnanten Namen Aehrenthal nobilitiert worden war.
Die Großmutter des Ministers, eine Gräfin Wilczek, seine Mutter, eine
Gräfin Thun, waren dem österreichischen Hochadel entsprossen. Seine
Schwester war mit einem Grafen Bylandt vermählt, er selbst mit einer
Gräfin Szechenyi aus großem ungarischem Hause. Er vereinigte den scharfen
Verstand, die Betriebsamkeit und die überlegte Klugheit seiner väterlichen
Vorfabren mit dem innerlichen Hochmut, dem „Fumo“, um sich wiene-
risch auszudrücken, der österreichischen Aristokratie. Groß, breitschul-
terig, etwas gebückt, sehr kurzsichtig, allmählich fast blind, mit meist
balbgeschlossenen Augenlidern und müdem Gesichtsausdruck, aber mit
regelmäßigen Zügen und vornehmen Allüren, zurückhaltend, eher indolent,
fast apathisch, stand Aehrenthal auch äußerlich im Gegensatz zu dem
kleineren, unruhigen, aufgeregten, bisweilen vordringlichen Kalmücken
Iswolski. Wie mit Iswolski war ich auch mit Aehrenthal seit langem befreun-
det, habe aber nie das Vertrauen in ihn gesetzt, das ich für seinen Vorgän-
ger Goluchowski empfand. Als dieser im Oktober 1906 zurücktrat, hatte er
mir in Erwiderung meines Abschiedsgrußes telegraphiert: „Tief gerührt
durch die so warmen und freundschaftlichen Worte, welche Eure Durch-
laucht anläßlich meines Scheidens aus dem Amt an mich zu richten die
Güte hatten, enpfinde ich es als ein wahres Herzensbedürfnis, Ihnen, ver-
ehrter Fürst, für das Vertrauen und Entgegenkommen, welches Sie mir in