Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

352 DER ARTIKEI DES „DAILY TELEGRAPR“ 
Verdrehung seiner wiederholten Freundschaftsanerbieten an die Engländer 
durch einen Teil der englischen Presse als persönliche Kränkung empfinde. 
Eine solche Haltung der englischen Presse mache seine ohnehin nicht leichte 
Aufgabe als Herrscher zu einer unsäglich schwierigen. Bedenklicher und gar 
zu naiv war das Eingeständnis des Kaisers, daß die in weiten Kreisen der 
mittleren und unteren Klassen des deutschen Volks gegenüber England 
herrschende Gesinnung keineswegs eine freundschaftliche für England 
sei. Er spreche nur im Namen der Minorität in seinem eigenen Lande, 
aber es sei eine Minorität aus den besten Elementen, wie dies auch in Eng- 
land mit Bezug auf Deutschland der Fall sei. Das sei ein weiterer Grund, 
weshalb es der Kaiser sehr übel vermerke, daß die Engländer sich weigerten, 
sein verpfändetes Wort, Er sei der beste Freund Englands, gläubig hinzu- 
nehmen. Er strebe trotzdem nach wie vor unablässig danach, die Bezie- 
hungen zu England zu verbessern. 
Nun folgten die drei Horrenda: 1. Der Kaiser habe die Aufforderung der 
russischen und der französischen Regierung, sich mit ihnen zu vereinigen, 
um die Burenrepubliken zu retten und England „bis in den Staub zu 
demütigen“, nicht nur mit dem Hinweis darauf abgewiesen, daß Deutsch- 
land es niemals aufeinen Streit mit einer Seemacht wie England ankommen 
lassen könne, sondern er habe den genauen Wortlaut der vertraulichen 
französischen und russischen Noten und seine Antwort auf die besagten 
Noten der Königin von England sofort mitgeteilt, die diese Schriftstücke 
in den Archiven von Windsor Castle deponiert habe. 2. Er habe im De- 
zember 1899, in der für England düstersten Periode des Südafrikanischen 
Krieges, nicht allein seiner Großmama seine tiefe und herzliche Teilnahme 
ausgedrückt, sondern er habe durch einen deutschen Offizier einen ganz 
genauen Bericht über die Zahl der Kämpfenden auf beiden Seiten und über 
die Stellung der in Südafrika einander gegenüberstehenden Streitkräfte 
aufsetzen lassen. Nach diesen Plänen habe der Kaiser den nach seiner An- 
sicht besten Feldzugsplan für die Engländer ausgearbeitet, diesen seinen 
Plan von dem deutschen Generalstab revidieren lassen und ihn dann nach 
England geschickt, wo sich derselbe gleichfalls unter den Staatspapieren 
in Windsor Castle befinde. Es sei „ein merkwürdiges Zusammentreffen“, 
daß der vom Kaiser ausgearbeitete Plan demjenigen sehr nahekomme, der 
wirklich von Lord Roberts angenommen und von ihm glücklich ausgeführt 
worden wäre. Mit anderen Worten: Eigentlich habe nicht Lord Roberts, 
wie bisher angenommen wurde, sondern Wilhelm II. die Buren besiegt und 
vernichtet. 3. Deutschland baue seine Flotte gar nicht gegen England, 
sondern für den Fernen Osten und den Stillen Ozean. Das war natürlich auf 
die Japaner gemünzt, denen angekündigt wurde, daß Deutschland sie eines 
schönen Tages Arm in Arm mit England bekriegen könnte.
	        
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