Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

372 SEINE GELBE WESTE 
Ausschreitungen erlebt, wie sie das französische und das italienische Parla- 
ment bisweilen gesehen haben, aber seine Stimmung wurde von Zeit zu Zeit 
ulkig. Es gibt keinen richtigeren Ausdruck, um sie zu kennzeichnen, eine 
Stimmung, wie sie, wenn die Fidelitas beginnt, auf deutschen Studenten- 
kommersen, auf Liebesmählern in Offizierkorps, auf Vereinsfesten im alten, 
fröhlichen Deutschland herrschte. Der Mißerfolg von Kiderlen war auch auf 
seine prononciert schwäbische Aussprache und, horribile dictu, auf die von 
ihm getragene gelbe Weste zurückzuführen. 
Während sich das Haus noch in dieser nicht gerade würdigen Stimmung 
befand, wurde ich von verschiedenen Seiten gebeten, nach Kiderlen noch 
einmal das Wort zu ergreifen, um wieder, aber noch eingehender als am 
vorhergegangenen Tage, die Angriffe gegen den Kaiser zurückzuweisen. 
Ich hatte schon am Abend des vorhergehenden Tages für alle Fälle einige 
Schlußworte in dieser Richtung an Hammann diktiert, der ebenso wie 
Loebell mir riet, in diesem Sinne und auf diese Weise die Debatte zu be- 
endigen. Mein Stellvertreter im Reich, Herr von Bethmann,riet mir drin- 
gend ab. Ich würde den ganzen großen Erfolg vom vorhergegangenen Tage 
in Frage stellen, wenn ich wieder das Wort ergriffe. Ich habe später öfters 
hören müssen, daß Bethmann Hollweg mir absichtlich einen schlechten Rat 
gegeben hätte. Ich habe das damals nicht geglaubt und glaube es heute 
nicht, obwohl ich inzwischen manche Illusionen über Bethmann Hollweg 
verloren habe. Ich bin nach wie vor der Ansicht, daß ich am 11. November 
1908 recht gehabt habe, nicht noch einmal zu sprechen. Freilich ist dieses 
mein wohlüberlegtes Schweigen gerade von denjenigen, die während des 
Sturms sich in ihren Mauselöchern versteckt hatten, benutzt worden, um 
dem Kaiser einzureden, ich hätte ihn wirkungsvoller und wärmer ver- 
teidigen müssen. Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß dieselben Intriganten, 
wenn ich wirklich noch einmal das Wort ergriffen hätte, Seiner Majestät 
gesagt haben würden: die Wirkung meiner ersten Rede sei dadurch paraly- 
siert worden, daß ich mit meiner bekannten Neigung, dem Reichstag bei 
jeder Gelegenheit Rede zu stehen und meine oratorischen Leistungen be- 
wundern zu lassen, Seine Majestät überflüssigerweise neuerdings in den 
Mittelpunkt der Debatte gestellt hätte. Ich wiederhole nochmals: Ich würde 
mit einer zweiten Rede den Eindruck der ersten abgeschwächt haben. 
Das Land hätte darin nur eine Verbeugung vor dem Kaiser gesehen, und 
das Land wünschte, daß der Kaiser seine Regierungsweise ändere. Das 
Land hätte sein damals großes Vertrauen zu mir verloren. Endlich würde 
eine neue Rede von mir natürlich neue Repliken aus dem Hause hervor- 
gerufen haben, und die Debatte wäre uferlos geworden. Ich tat wohl daran, 
nicht zum zweitenmal zu sprechen, zumal bei der augenblicklichen Stim- 
mung, in der sich das Parlament befand.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.