382 WILHELM II. WILL ABDANKEN
Der hohe Herr aber hatte schon im Frühjahr 1908, Monate vor dem
Erscheinen des „Daily-Telegraph‘“-Artikels, zu dem Kriegsminister von
Einem, der es mich, streng vertraulich, aber in guter Absicht und warnend,
wissen ließ, unmutig geäußert: „Bülow wird mir zu groß.“ Als durch die
Reichstagsdebatte vom November 1908 sein überspanntes Selbstgefühl
verletzt worden war und als Intriganten, Neider und Streber in diese Wunde
das Gift der Verdächtigung und Verleumdung träufelten, wandte sich der
Kaiser erst von mir ab, dann gegen mich. Mir gegenüber trug er vorerst
noch die Maske des Wohlwollens und der Freundschaft.
Als ich mich in der Reichstagssitzung vom 19. November 1908 zum
Worte gemeldet hatte, um die Vorlage zur Reichsfi f
flüsterte einer der Herren der Reichskanzlei mir leise zu: „Seine Majestät
der Kaiser läßt Eurer Durchlaucht durch den Kammerdiener Schulz
telephonisch mitteilen, daß er die Absicht habe, abzudanken.“ Ich hatte
gerade noch Zeit, zu antworten: „Telephonieren Sie sehr ernst zurück,
man möge nichts überstürzen und jedenfalls die Feier im Rathaus abwarten,
die übermorgen vor sich gehen wird.“ In diesem Augenblicke hörte ich
schon die Stimme des Präsidenten: „Der Herr Reichskanzler hat das Wort.“
Ich wies zunächst in großen Zügen auf die Grundlagen unserer inter-
nationalen Stellung hin. Emporkömmlinge seien im allgemeinen nicht
beliebt. Das Deutsche Reich, das jüngste Mitglied der europäischen
Staatengemeinschaft, hätte seit seiner Errichtung im Ausland mehr
Respekt und selbst Furcht als Zuneigung genossen. Deutschland, früher
der bequeme Tummelplatz für fremde Einmischung, wäre eben ein unbe-
quemer Konkurrent geworden. Auch Bismarck habe nicht verhindern
können, daß der Revanchegedanke in Frankreich nicht erlöschen wolle,
daß in Rußland nach dem Türkenkrieg eine deutschfeindliche Welle ge-
kommen sei. Es sei auch nicht ganz unnatürlich, daß unsere aus dem
Wachstum unserer Bevölkerung und unserer produktiven Kräfte hervor-
gegangene wirtschaftliche Expansion wenigstens bei einem Teil des engli-
schen Volks die einst freundlicheren Gefühle allmählich in eine gewisse
Besorgnis verwandelt hätte. Solche Gegnerschaften beruhten im letzten
Ende auf elementaren Ursachen, wären aber nach meiner Über-
zeugung in keiner Weise unüberwindlich. Manche Gegensätze werde die
Zeit heilen oder mildern. „Was wir brauchen, ist Kaltblütigkeit, Furcht-
losigkeit, Stetigkeit, Ruhe nach außen und im Innern!“ Unter Bewegung
im ganzen Hause erinnerte ich an das tiefsinnige Bild unseres größten
deutschen Meisters, an jenes Bild von Albrecht Dürer, das einen Ritter
darstellt, der in voller Rüstung neben Tod und Teufel ruhig und kaltblütig
das Tal hinan reitet. Diesem Bild stellte ich ein anderes gegenüber, das
ich vor einiger Zeit in einer französischen Zeitung gefunden hatte. Es
m zu begründen,