DER THRONERBE INFORMIERT SICH 387
Die Kaiserin meinte, sie wisse nicht, ob Seine Majestät dazu übermorgen
schon imstande sein würde. Ich entgegnete, der Kaiser sei eine Steh-auf-
Natur. Wenn Ihre Majestät ihm gut zuspräche, werde er kommen und seine
Sache im Rathause sehr gut machen. Ich hätte ihm eine schöne Rede vor-
bereitet. Als die Kaiserin mich entließ, schien sie getröstet und beruhigt.
Ich kam auf demselben Wege, in derselben Weise völlig unerkannt wieder
nach Hause, wo meine Abwesenheit gar nicht bemerkt, sondern auf einen
längeren Spaziergang im Tiergarten zurückgeführt worden war, wie ich
solche nicht selten unternahm, auch ohne Begleitung durch die mir bei-
gegebenen wackeren Polizisten.
Am 20. November kam der Kronprinz zu mir. Er wußte ebensowenig
wie sein Herr Vater, daß ich am Tage vorher im Neuen Palais vorgesprochen
hatte. Er kam, um sich über die Lage der Dinge zu informieren. Er war wie
immer höflich und bescheiden, im Gegensatz zu seinem Herrn Vater mehr
zögernd, mehr rezeptiv als perorierend. Ich merkte aber bald, daß er nicht
ungern wenigstens für einige Zeit die Zügel der Regierung ergriffen hätte.
Während er sich über die überall hervortretende, gereizte, ja erbitterte
Stimmung weiter Kreise gegen Seine Majestät den Kaiser in vorsichtigen,
aber doch durchsichtigen Wendungen verbreitete, stieg vor meinem Geiste
die berühmte Szene auf, in der Shakespeare den Prinzen von Wales, den
nachmaligen König Heinrich den Fünften, schildert, wie er, am Bette
seines schlafenden Vaters, König Heinrichs des Vierten, sitzend, die auf
dessen Kissen liegende Krone erblickt, sie ergreift, sie sich aufsetzt:
Hier sitzt sie, seht;
Der Himmel schütze sie!
Der Kronprinz frug, ob ich glaube, daß der Kaiser, der namentlich von
Maximilian Harden, aber auch von anderen Seiten so maßlos angegriffen
werde, „ohne weiteres‘ fortfahren könne zu regieren, als ob nichts vorge-
fallen wäre. Ob nicht eine Pause, und sogar eine längere Pause, wün-
schenswert, ja notwendig sei? Ich erwiderte, daß meines Erachtens der
Kaiser schon morgen, geschweige denn in acht Tagen, sein hohes Amt in
seinem ganzen Umfange wieder aufnehmen könne und werde. Wenn Seine
Majestät der Kaiser und König künftig angemessen auftrete, werde er nicht
mit verminderter, sondern mit vermehrter Autorität weiterregieren können.
Die preußische Krone sei aus sehr festem Metall geschmiedet. Sie verkörpere
eine fast fünfhundertjährige glorreiche Geschichte, stromweise sei für sie das
Blut des märkisch-preußischen Volkes geflossen, von Fehrbellin bis Mars-la-
Tour. Die deutsche Kaiserkrone, die Wilhelm I. mit Bismarck aus dem Kyff-
häuser hervorgeholt habe, umgebe noch immer ein Zauber, ein Nimbus ohne-
gleichen. Es müßten „ungeheure Dummbheiten‘‘ gemacht werden, um diesen
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Besuch des
Kronprinzen