Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

EIN WÜTENDER AFFE 395 
dem russischen Minister nicht zu verargen, wenn er darauf entgegnete, daß 
die Weigerung, den Bismärckschen Rückversicherungsvertrag fortzusetzen, 
von deutscher Seite, von Caprivi, Marschall und Holstein ausgegangen wäre. 
Ich schnitt diese retrospektiven Betrachtungen ab, indem ich darauf hin- 
wies, daß in der bosnischen Frage die habsburgische Monarchie nicht nur 
das Vertragsrecht auf ihrer Seite habe, sondern auch in ihrem diplomati- 
schen Spiel einige sehr starke Atouts in Händen halte, ganz besonders den 
Brief, durch den Iswolski selbst Aehrenthal aufgefordert hätte, die Okku- 
pation in eine Annexion zu verwandeln. Alexander Petrowitsch hatte hier- 
auf nicht viel zu erwidern. Die von ihm begangenen Fehler lagen zu deutlich 
zutage. Er wiederholte nur immer: „Le sale juif m’a trompe, il m’a menti, 
il m’a mis dedans, l’affreux juif.‘“ Aufgeregt, mit hochrotem Kopf und ver- 
zerrtem Gesicht, glich er einem wütenden Affen. Ich steckte meine beiden 
Zeigefinger in meine beiden Ohren und sagte ihm ruhig und ernst: „Tant 
que vous direz du mal de mon ami Achrenthal, je me bouche les oreilles. 
Mais je vous promets que, si Achrenthal se servait jamais de termes aussi 
inconvenants sur mon ami Iswolski, je me boucherais &galementles oreilles.“ 
Nach und nach beruhigte sich der erregte Mann. Zur Erklärung der von 
ihm begangenen diplomatischen Fehler wußte er freilich nichts Neues vor- 
zubringen. Er wiederholte, daß er „leider“ an die Rechtschaffenheit und 
Ehrlichkeit von Aehrenthal geglaubt habe, aber grausam enttäuscht 
worden sei. Das war fast komisch von seiten eines russischen Ministers, 
da der berühmteste russische Diplomat der letzten fünfzig Jahre, Ignatiew, 
mit Stolz den ihm von den Türken gegebenen Beinamen „Vater der Lüge“ 
trug und auch Gortschakow, Saburow und manche andere russische Staats- 
männer sich nicht gerade durch Wahrheitsliebe ausgezeichnet hatten. Ich 
flocht die Frage ein, ob Iswolski in London und Paris hinsichtlich der 
Dardanellen-Frage positive Ergebnisse erzielt hätte. Er erwiderte mir mit 
einiger Verlegenheit, in London sei ihm gesagt worden, daß eine liberale 
englische Regierung bei der Stimmung der liberalen englischen Wähler 
gegenwärtig nicht russische Wünsche unterstützen könne, welche die Jung- 
türken in große Aufregung versetzen und in eine schwierige Position 
bringen würden. Als ich mich erkundigte, wie man sich in Paris zur Darda- 
nellen-Frage stelle, meinte Iswolski, die Franzosen behaupteten, in dieser 
Angelegenheit nichts obne England tun zu können. Auch müsse die fran- 
zösische Regierung Rücksicht auf den kleinen französischen Rentier 
nehmen, der stark in türkischen Werten engagiert sei. Ohne in den Ton 
des Pharisäers zu verfallen, der Gott dankt, daß er nicht sei wie der Zöllner, 
verhebhlte ich dem russischen Minister nicht meinen Standpunkt zur Darda- 
nellen-Frage. Ich stünde in dieser Beziehung noch immer auf dem Boden 
des Bismarckschen Rücl i gsvertrages. Deutschland habe an der
	        
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