402 DAS ZERSCHNITTENE TISCHTUCH
Drohungen, durch einen Druck „mit gepanzerter l'aust‘“ Rußland zum
Einlenken bewogen. Unaufgefordert sei Deutschland dazwischengefahren.
Ich lasse dahingestellt, ob Iswolski nicht mitgeholfen hat, diese Legende zu
verbreiten. Jedenfalls war er ihr nicht mit dem erforderlichen Nachdruck
entgegengetreten. Ich ließ deshalb bei Herrn von Tscharykow durch
unseren Botschafter anfragen, ob cs sich nicht empfehle, durch gleichzeitige ,
Veröffentlichung der gleichlautenden Aktenstücke den tatsächlichen Her-
gang bei unserer von Rußland erbetenen, wohlmeinenden, freundlich-
höflichen und erfolgreichen Vermittlung klarzulegen und die in Umlauf
gesetzten böswilligen Verdächtigungen aus der Welt zu schaffen. In den
weiteren Besprechungen zwischen Herrn von Tscharykow, Herrn Iswolski
und unserem Botschafter stellte sich heraus, daß von russischer Seite ge-
wisse Abänderungen an den in Frage kommenden Aktenstücken dringend
gewünscht wurden. Deshalb und vor allem, damit aus der ganzen bosnischen
Verwicklung zwischen uns und Rußland keinerlei Verstimmung zurück-
bliebe, stand ich von der Veröffentlichung ab.
Damit war der erste Akt der bosnischen Verwicklung erledigt. Die
Gefahr, daß Rußland die Serben zu weiterem Widerstand gegen Österreich-
Ungarn hetzte, war beseitigt. Und zwar, worauf ich besonderes Gewicht
gelegt und besondere Mühe gewandt hatte, ohne Bruch mit Rußland,
Iswolski habe ich seit jener denkwürdigen Unterredung zwischen ihm und
mir, vom 26. Oktober 1908, nicht mehr geseben. Er hatte mir damals,
als er von mir Abschied nalım, gesagt: „Zwischen Aehrenthal und Rußland
ist das Tischtuch für immer zerschnitten, noch mehr aus persönlichen wie
aus sachlichen Gründen. Achrenthal hat sich gegen uns nicht nur illoyal,
sondern auch allzu undankbar benommen. Er hat uns als Attache, uls
Sekretär, als Geschäftsträger, als Botschafter in St. Petersburg beständig
erzählt, er wäre ein treuer Freund Rußlands und ein unbeugsamer Ver-
treter guter Beziehungen zwischen seiner Monarchie und dem russischen
Reich. Als er St. Petersburg verließ, um Minister des Äußern zu werden,
haben wir ihm den Andreasorden umgehängt. Zum Dank hat er uns so
brüskiert, mit uns ein so perfides Spiel gespielt, daß ohne Ihre kluge und
freundschaftliche Vermittlung der Krieg hätte ausbrechen können, d. h.
das größte Unheil, das die Welt und insbesondere die drei Kaiserreiche
treffen kann.“ Zu dieser Erklärung Iswolskis bemerke ich meinerseits
ex post, daß die russische Diplomatie und der russische Hof Aehrenthal
sein Verhalten in der bosnischen Krise nicht verziehen baben. Einige Zeit
nach dem Abschluß der busnischen Krisis passierte ein russischer Groß-
fürst Wien. Er ließ durch den russischen Botschafter wissen, daß er glück-
lich sein würde, Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät
seine ehrfurchtsvolle Aufwartung zu machen, er würde sich auch sehr