DIE KRIEGSTREIBEREIEN 405
dorf. Je länger man zögere, desto schwieriger werde die Lage. Der Feind
werde mit jedem Tage stärker, während die Zentralmächte auf der Höhe
der für sie möglichen Machtentfaltung angelangt seien. Also: Schlagen wir
sofort los, bevor es zu spät ist! Ich war nicht gewillt, Deutschland durch
solche Quertreibereien in einen Krieg von unberechenbaren Dimensionen
hineinziehen zu lassen, bei dem nur eins sicher war: Wir hatten nicht viel
zu gewinnen, was Jie natürliche Entwicklung der Dinge uns nicht auch ohne
Krieg bringen konnte. Wir riskierten ungeheuer viel, wir setzten unermeß-
liche Werte aufs Spiel. Ich sprach in diesem Sinne, sobald mir das Einlenken
der Russen gewiß war, ernst und nachdrücklich mit dem österreichisch-
ungarischen Botschafter Szögyenyi. Ich ließ auch in diesem Sinne durch
meinen Bruder Karl Ulrich, der sieben Jahre deutscher Militärbevoll-
mächtigter in Wien gewesen war und dort gute Bezichungen besaß, nament-
lich zu der Umgebung des Erzherzugs Franz Ferdinand, nach Wien
schreiben. Ich sagte dem österreichischen Botschafter, der, ein alter und
erfahrener Diplomat, innerlich ganz meiner Meinung war und in diesem
Sinne privatim an Freunde in der Umgebung des Kaisers Franz Josef
schrieb: Ein österreichischer Einmarsch in Serbien bedeute neun gegen eins
den Krieg mit Rußland, ein Krieg mit Rußland neunundneunzig gegen eins
den Weltkrieg. Auf eine so ungeheure Partie könne ich mich nur einlassen,
wenn vorher alle für uns erreichbaren Trümpfe in das Spiel der Zentral-
mächte gebracht würden. Ich verwies auf den Artikel VII des Dreibund-
vertrages, der bestimme, daß im Falle der Ausdehnung Österreich-Ungarns
Italien ein Recht auf Vergrößerung habe. Dieser Verpflichtung könne sich
Österreich nicht dadurch entziehen, daß es behaupte, die Niederwerfung
Serbiens, der von österreichischen Gencralen betriebene Einmarsch in
Serbien wäre keine Landerwerbung in dem vom Dreibundvertrauge vor-
gesehenen Sinne. Das seien Sophismen, Kniffe, mit denen in großen, die
Völker bewegenden Fragen nicht durchzukommen wäre. Natürlich würde
durch die Eroberung Serbiens und schon durch den Einmarsch in Serbien
das Kräfteverhältnis auf der Balkanhalbinsel verschoben. Habe Österreich
Lust, Italien hierfür ein Äquivalent zu gewähren? Etwa das ehemalige
Bistum Trient? Görz, Gradiska, Pola, Triest? Ähnlich stünde es mit Ru-
mänien. Habe Österreich Lust, Rumänien mit der Bukowina zu entschädi-
gen? Um eine ehrliche Kooperation der Rumänen mit Österreich sicherzu-
stellen, müsse mindestens den ungarländischen Rumänen eine freundlichere
Behandlung und eine stärkere Vertretung im ungarischen Parlament
garantiert werden.
Ich fand bei meinem erfolgreichen Bestreben, Österreich-Ungarn von
unbesonnenem Vorgehen abzuhalten, die Unterstützung sowohl des Mi-
nisters Aehrenthal wie des T'hronfolgers, des Erzherzogs Franz Ferdinand.