Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

SERBIEN KEINEN WELTBRAND WERT 409 
ruhigte mich, wenn es dessen bedurft hätte, völlig die Kundgebung eines 
der rüchtigsten und weitestblickenden österreichischen Staatsmänner, des 
Freiherrn von Chlumecky, nacheinander österreichischer Ackerbau- und 
Handelsminister, langjähriger Führer der deutschen Liberalen im Wiener 
Abgeordnetenhause, erster Vizepräsident, schließlich Präsident des Ab- 
geordnetenhauses, der mir nach Abschluß der Krise telegraphierte: 
„Ianigen, tiefgefühlten Dank eines alten Österreichers für alles, was Durch- 
laucht für den Verbündeten getan, und für die herrlichen Reichstagsreden.“ 
In meiner Reichstagsrede vom 29. März 1909* hatte ich keinen Zweifel 
darüber gelassen, daß wir seit Beginn der bosnischen Verwicklung treu 
zu unserem österreichischen Verbündeten gestanden hätten. Ich hatte das 
Wort von der Nibelungentreue geprägt, das später von berufener und un- 
berufener Seite totgehetzt worden ist, aber im Augenblick, wo es gesprochen 
wurde, günstig wirkte. Ich hatte namentlich hervorgehoben, daß Serbien 
keinen Krieg, geschweige denn einen Weltbrand wert wäre. Es sei ein un- 
erträglicher Gedanke, daß der europäische Friede wegen Serbiens gefährdet 
werden sollte, zumal die Annexion der beiden Provinzen kein zynischer 
Landraub, sondern nur der letzte Schritt auf der Balın einer seit dreißig 
Jabren unter Anerkennung aller Mächte betätigten kulturellen Arbeit 
wäre. Ich hob hervor, daß ich dem russischen Minister des Äußern zwar 
keinen Zweifel darüber hätte lassen dürfen, daß wir uns in der Konferenz- 
frage nicht von Österreich-Ungarn trennen könnten, fügte aber mit Nach- 
druck hinzu: „Im übrigen begegneten wir, Ilerr Iswolski und ich, uns in der 
Überzeugung, daß die russische Politik keine Spitze gegen Deutschland 
baben solle und umgekehrt, vielmehr die alten freundschaftlichen Be- 
ziehungen bestehenbleiben müßten. Der russische Minister hat mir aufs 
neue versichert, daß keine, weder offene noch geheime russisch-englische 
Abmachungen bestünden, die sich gegen die deutschen Interessen richten 
könnten.“ 
Die Haltung der französischen Regierung war während der ganzen 
bosnischen Krise für Deutschland nicht unfreundlich. Das trat selbst in 
sonst recht deutschfeindlichen Pariser Blättern zutage. Die Pariser Presse 
stand dem österreichisch-serbischen Konflikt ruhiger gegenüber als ein 
großer Teil der englischen. Der „Temps“ erklärte mit dürren Worten, 
Frankreich habe kein Interesse an einem großen Krieg, bei dem es mchr 
riskiere als England, aber trotzdem einen größeren militärischen und 
finanziellen Einsatz zu leisten haben würde. Der Beistand der französischen 
Armee in einem europäischen Krieg, in den England verwickelt würde, 
habe für England einen unschätzbaren Wert. Der Beistand Englands in 
  
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe III, 179; Reclam-Ausgabe V, 1171. 
Marokko- 
Abkommen 
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