Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Der König 
über den 
englisch- 
französischen 
Koloniul- 
vertrag 
28 ENGLISCH-FRANZÖSISCHES AGREEMENT 
England nicht zu mißtrauisch und nicht zu empfindlich sein. Weite eng- 
lische Kreise sind überzeugt, daß die Deutschen ihre Flotte mit der Absicht 
bauen, wenn sie zur Sce stark genug sein werden, über England herzufallen 
und ihm durch Vernichtung seines Handels oder gar durch eine Invasion 
für immer das Rückgrat zu brechen. Ich teile diese Auffassung nicht, ich 
bekämpfe sie sogar. Sie müssen aber auch verstehen, daß, da England steht 
und fällt mit seiner Sicherheit zur See, die englische Admiralität für jedes 
neue deutsche Schiff zwei neue englische Schiffe baut. In Deutschland ist 
man geneigt, freundschaftliche Beziehungen zwischen England einerseits, 
Frankreich, Rußland, Italien, Spanien andererseits als eine direkte Bedro- 
hung aufzufassen. Solche Beziehungen sind aber von demselben defensiven 
Geist eingegeben wie der Dreibund und wie die deutschen Flottenbauten. 
Wenn man in Berlin wie in London kaltes Blut bewahrt und keine ‚ganz 
großen Dummheiten‘ macht, so wird die Spannung zwischen Deutschland 
und England mit der Zeit gerade so vorübergehen, wie während der 
letzten neunzig Jahre ähnliche, sogar noch bedenklichere Spannungen 
zwischen Frankreich und England und zwischen England und Rußland 
sich allmählich verflüchtigt haben.“ 
Im Anschluß hieran kam der König aus eigener Initiative auf das 
„Agreement“ zu sprechen, das vom Kabinett Balfour am 8. April mit Frank- 
reich über die Schlichtung kolonialer Streitfragen abgeschlossen worden 
war. Es war an demselben Tage unterzeichnet worden, an dem Wilhelin II. 
auf einer Mittelmeerreise Malta besucht hatte. Das Abkommen bestand aus 
drei Erklärungen: l. England versprach, an dem bestehenden Zustande in 
Ägypten nichts zu ändern; Frankreich, keinen Räumungstermin zu for- 
dern. 2. Frankreich versprach, den politischen Zustand in Marokko nicht 
zu ändern; England erkannte an, daß Frankreich als Nachbarstaat Ma- 
rokkos das Recht habe, die Ruhe dort zu erhalten und dem Sultan im Not- 
fall bei seinen Verwaltungsreformen militärische und finanzielle Hilfe zu 
leisten. 3. Langjährige Grenz- und Zolldifferenzen zwischen beiden Län- 
dern in Senegambien, am Niger, in Siam, in Madagaskar sowie die alten 
Streitigkeiten wegen der Neufundländer Fischerei und der Rechtslage der 
Eingeborenen auf den Hebriden sollten durch gegenseitige Nachgiebigkeit 
gütlich geschlichtet werden. König Eduard bemerkte über dieses sehr be- 
deutsame Agreement, an dessen Zustandekommen er persönlich einen 
großen Anteil gehabt hatte: „Zwischen England und Deutschland bedarf 
es keiner besonderen Abmachungen, da ja zwischen uns keine konkreten 
politischen Interessengegensätze obwalten. Mit Frankreich lag die Sache 
anders. Eine Verständigung über alte und schwierige Differenzpunkte war 
bier eine absolute Notwendigkeit. Die Verständigung zwischen Englaud 
und Frankreich richtet aber ihre Spitze nicht gegen Deutschland. Ich denke
	        
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