DER SUNDENBOCK METTERNICH 429
Ich machte diesen Bericht zum Gegenstand eines längeren Immediat-
vortrages bei Seiner Majestät. Der Kaiser stimmte meiner günstigen Be-
urteilung der Rathenauschen Denkschrift bei. Aber leider wollte Wilhelm II.
nicht einsehen, daß es an der Zeit, ja hohe Zeit war, mit England zu einer
vernünftigen Flottenverständigung zu kommen. Je mehr unsere Flotten-
bauten England beunruhigten, um so mehr suchte Wilhelm II. nach
einem Sündenbock für diese ihm unbehagliche und sehr unerwünschte
Stimmung und fand ihn ungerechterweise in unserem früher bei ihm wohl-
gelittenen Botschafter in London, Paul Metternich, dem er vorwarf, daß
er den englischen Besorgnissen und falschen Vorstellungen nicht mit der
nötigen Energie entgegentrete. Ein Niederschlag solcher Verstimmung
war Anfang April der nachstehende Brief Seiner Majestät an mich: „Ich
habe heute, ehe Tirpitz zu Ihnen ging, noch einmal die ganze englische
Flotten- und Dreadnought-Schweinerei mit ihm in Gegenwart von Müller
und Plessen durchgesprochen und ihn ermächtigt, im selben Sinne auch
Ihnen gegenüber sich auszusprechen. Es ist dabei übereinstimmend kon-
statiert worden, an der Hand der historischen Daten, daß tatsächlich
Metternich einen Teil der Schuld trägt an dem Verfahren der Situation,
indem er von vornherein die kolossale persönliche Konzession, die Ich
ihm zu eventuellem Gebrauch zur Verfügung gestellt hatte, nämlich, daß
1912 keine Novelle kommen werde, ohne Grund von vornherein aus der
Hand gegeben hat, ohne von England die geringste Gegenleistung zu
erhalten als ungezählte Lügen, Verleumdungen und Verdächtigungen und
Grobheiten. Dadurch ist das Ganze schlecht und falsch ‚gemanaged‘
worden und er, und dadurch wir, in die Ecke gedrückt worden. Weil erstens
die Engländer, trotzdem sie der konstitutionelle Staat par excellence sind,
den groben politischen Fehler begingen, in Cronberg unter Überspringen
aller konstitutionellen Persönlichkeiten und Gepflogenheiten, also Sie,
Schön, Tirpitz usw., direkt den Monarchen und Obersten Kriegsherrn zu
koramieren und zu stellen, und zwar ‚per Drohung und im Befehlstone‘:
‚You must stop building‘. Das durfte nicht geschehen, da das kein ‚An-
gebot zu Verhandlungen‘, wie jetzt im Parlament behauptet wurde,
war, sondern nur ganz einseitiges Verlangen von England an uns, das
nur so beantwortet werden konnte, wie es geschah. Dieses Verfahren
mußte im Herbst, als man sich Metternich mit allerhand Anfragen und
Konversationen, unverbindlich, näherte seitens England, der Botschafter
mit aller Schärfe und allem Nachdruck der Regierung in gröbster Form
unter die Nase reiben und sie veranlassen, erstmal für das unqualifizierbare
Benehmen uns um Verzeihungzubitten. Erstnachdemdasgeschehen,
konnte man verbindliche Vorschläge von London entgegennehmen
und darüber verhandeln. Zweitens: Weil der Botschafter leider das obige
Brief
des Kaisers
an Biilow