Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

436 DIE GEFAHRZONE 1915 ÜBERSTANDEN 
Standpunkt, daß wir keinerlei Chance haben, einen Konflikt mit England 
erfolgreich auszufechten. Eine ehrenvolle Verständigung, etwa auf der Basis 
einer Verlangsamung des Bautempos, scheine daher auch ihm erstrebens- 
wert. Dabei dürfe man sich freilich nicht verhehlen, daß ein Scheitern von 
Verständigungsversuchen den Krieg bedeuten könnte. Der Herr Reichs- 
kanzler weist wiederholt auf die Gefahren der Situation hin. Die einzige 
schwarze Wolkelagere zur Zeit über der Nordsee, aber sie sei gewitterschwer. 
Admiral Tirpitz hebt den von Jahr zu Jahr wachsenden Wert unserer Flotte 
hervor, auch in den Reservebildungen. Ein etwaiges Hinausziehen des 
Bauprogramms um fünf Jahre, also bis 1925, wie es Graf Metternich im 
Auge zu haben scheine, würde für uns aber den Verlust von fünfzehn 
Capital Ships bedeuten. Wolle man solche Verlangsamung, dann werde das 
ganze Flottenprogramm wertlos. 
Staatsminister von Bethmann: ‚Das Erstarken unserer Flotte ist 
eben das, was die Engländer erkannt haben und was sie so lebhaft beun- 
ruhigt. Was könnte unsere Marine bieten, wenn eine freundschaftliche An- 
regung seitens Englands zu erneuter Besprechung erfolgen sollte ” 
Admiral von Tirpitz: ‚Unser etwaiges Angebot kann sich nur nach 
einem englischen Vorschlag richten, nicht vorher formuliert werden.‘ 
Staatsminister von Bethmann: ‚Ist nicht eine Verlangsamung des Bau- 
tempos in dem Sinne möglich, daß wir im nächsten Jahr nicht vier, 
sondern nur drei Schiffe bauen, wenn die Engländer ihrerseits sich auf vier 
Neubauten beschränken — immer nur Capital Ships gerechnet ”* 
Admiral von Tirpitz führt aus: Zu einer solchen Verlangsamung des 
Bautempos sei eine Änderung des Flottengesetzes nicht erforderlich, 
eine Verlangsamung von vier auf drei Schiffe lasse sich im Etat durch- 
führen. 
Der Herr Reichskanzler konstatiert, daß die Verlangsamung also mög- 
lich sei, ohne daß dies zu Debatten im Reichstag führe oder überhaupt sehr in 
die Öffentlichkeit trete. Admiral von Müller betont, es dürfe kein Mißver- 
ständnis darüber bestehen, daß eine Verständigung mit England auf Basis der 
Ver.angsamung des Bautempos nur unter der Bedingung zustande kommen 
dürfe, daß auch England eine Gegenleistung auf dem gleichen Gebiete, also 
ebenfalls eine Verlangsamung, bietet. Alle Anwesenden sind darüber einig, 
daß solche Gegenseitigkeit unbedingt Voraussetzung für das Zustande- 
kommen einer Verständigung sein müsse. Insbesondere wiederholt der 
Herr Reichskanzler, daß England uns nicht nur volle Gegenseitigkeit auf 
militärisch-technischem Gebiet, sondern auch eine politische Assekuranz 
geben müsse. 
Admiral von Tirpitzführt aus: Nach seiner Ansicht würde die Gefahrzone 
in unserem Verhältnis zu England in fünf bis sechs Jahren, also etwa 1915,
	        
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